Ein archaischer Welterklärungsversuch
Religion ist ein »geistiges Perpetuum mobile« und wird deshalb irgendwann zum Stillstand kommen. Früher oder später wird die Ära der Religionen ein natürliches Ende finden, da ihr mit der Zeit der Nährboden – die umfassende Unwissenheit – verloren geht.
Inhalt
Unsere monotheistischen Religionen sind in archaischen Zeiten entstanden. Vor etwa 3000 Jahren gab es die ersten schriftlichen Aufzeichnungen, aus denen dann später Tora, Bibel und Koran hervorgingen.
Deshalb kann gesagt werden: Religion spiegelt die Welt, das Denken und Fühlen der Bronzezeit-Menschen wider und ist ein Ausdruck des damals vorherrschenden Lebensklimas: Ein Leben in Unwissenheit und Angst, getrieben von dem Bedürfnis, beides zu überwinden. Religionen haben den Anspruch, die Existenz und das Leben erklären zu können. Deshalb sind sie von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Wir können die archaischen Religionen als Vorläufer der Philosophie verstehen und das Christentum, den Islam und das Judentum im 21. Jahrhundert als das Festhalten an diesem Vorläufer.
Gewohnheitsdenken
Wenn wir religiös glauben, orientieren wir uns an den Assoziationen unsere archaischen Vorfahren. Dieses Verhalten empfinden wir als intelligent. In Wirklichkeit ist es rückständig.
Genau wie unser Denken und Handeln, wird auch unser Glaube von Gewohnheiten bestimmt, manchmal gegen unseren Willen. Wir sind Christen, Moslems oder Juden, weil man uns dazu gemacht hat. Dann gewöhnen wir uns daran und denken, es wäre unsere Wahl gewesen. Und nur aus diesem Grund nennen wir uns so, und nicht etwa, weil wir es sein wollten.
Das sollte uns bewusst sein und auch zu denken geben. Uns wurde natürlich beigebracht, dass unsere traditionelle Landesreligion besser, richtiger oder wahrhaftiger ist als die anderen. Und da wir diese Vorstellung mögen, glauben wir sie auch.
Kein wirkliches Interesse an unserem Glauben
Selten beschäftigen wir uns wirklich mit unserer Religion, denn es geht uns nicht darum, eine wahre oder richtige zu haben, selbst wenn wir das behaupten oder auch glauben. Es reicht uns, einer anzugehören, denn das ist in den Gesellschaften so üblich und nur das Übliche interessiert uns.
Aus den gleichen Gründen, aus denen wir beispielsweise ein Auto oder bestimmte Kleidungsstücke besitzen, haben wir eine bestimmte Religion: Es ist in der Gesellschaft, in die wir zufällig hineingeboren wurden, aus traditionellen Gründen üblich, dieser Religion anzugehören oder diese Art von Kleidung zu tragen.
Allein auf die Konformität kommt es uns an, denn das eigene Leben ist am sichersten und die Gesellschaften funktionieren am besten, wenn die Bürger eines Landes mehr oder weniger alle gleich denken und einen ähnlichen Lebensstil pflegen.
Doch unser religiöser Glaube ist nur Anpassung. Wir gleichen uns instinktiv den vorherrschenden Konventionen an, denn Konformität ist eine wichtige Voraussetzung für ein reibungsloses Leben in einer Gesellschaft, die auf Konkurrenz, Neid und Erfolg aufgebaut ist.
Und jede Anpassung funktioniert am besten, wenn sie zur zweiten Haut wird. Deshalb ist unser Glaube, unsere Religion nicht mehr als eine (letztendlich beliebige) Gewohnheit, die auch anders sein könnte.
Vertrauen auf das Alte
Wir stellen fast nie die alten, überlieferten Traditionen und Gewohnheiten infrage, da sie uns Sicherheit geben. Wir sagen: „Unsere Vorfahren dachten und fühlten so. Man lehrte uns, ebenfalls so zu denken und zu fühlen – das hätte man nicht getan, wenn es nicht gut und richtig ist.“
Genauso, wie wir auf das vertrauen, was unsere Eltern uns lehren, vertrauen wir auf die Überlieferungen unserer Vorfahren. Diese Einstellung ist berechtigt, denn unsere Eltern und Vorfahren verfügen über Erfahrungen, die uns als Kinder oder Jugendliche fehlen. Eine Lehre ist jedoch nicht deswegen wahr, weil der Lehrer von ihr überzeugt ist und wir sie angenommen haben.
Auch unsere Eltern und Vorfahren waren vor Irrtümern nicht gefeit. Und je weiter der Ursprung einer Lehre in der Vergangenheit liegt, desto stärker ist sie fehleranfällig. Das ist ganz natürlich und kein Makel. Aber aus genau diesem Grund sollten wir sie kritisch betrachten. Da es aber nicht immer leicht ist, zwischen Irrtum und Wahrheit zu unterscheiden, übernehmen wir unbemerkt die Irrtümer im Schatten der Wahrheiten.
Paradigmenwechsel
Als Beispiel mag gelten: Irgendwann dachten die meisten Menschen noch, dass die Sonne sich um die Erde beweg, denn dieser Eindruck entsteht, beobachtet man unser Zentralgestirn am Himmel. Wer das Gegenteil behauptete, wurde ausgelacht oder getötet. Wir glaubten die geozentrische Lehre, weil unsere Lehrer sie glaubten, und es gab keinen Grund für uns, daran zu zweifeln.
Doch heute wissen wir: Man hatte uns vor 1000 oder 2000 Jahren etwas Falsches gelehrt. Aufgrund unserer technischen Möglichkeiten wissen wir jetzt, dass die Erde sich auf einer Umlaufbahn um die Sonne befindet und die Sonnenbewegung am Himmel ein Effekt der Erdrotation ist.
Der Grund für diesen Paradigmenwechsel ist simpel: Es ist schlichtweg nicht mehr zu übersehen! Aus diesem Grund glauben wir heute die geozentrische Lehre nicht mehr (und nicht etwa, weil wir intelligenter geworden sind).
Jedes falsche oder ungenügende Wissen wird in einem langen und zähen Prozess durch besseres ersetzt, das nicht unbedingt perfekt sein muss. Oft ist es nur eine genauere Annäherung an die tatsächlichen Gegebenheiten. Und die moderne Wissenschaft weiß das auch.
Das Vermächtnis der Bronzezeit
Jede Religion ist heutzutage Ausdruck geistiger und seelischer Unreife.
Diese Behauptung klingt zwar wie eine intolerante und arrogante Unterstellung, jedoch nur, wenn man nicht bedenkt, dass unsere traditionellen Religionen nicht mehr als frühgeschichtliche Welterklärungsversuche sind, die längst keine Gültigkeit mehr haben. Wenn wir trotzdem an ihnen festhalten, demonstrieren wir damit nur unsere geistige Unbeweglichkeit. Warum ist das so?
Wir wissen heute, dass es absolut unmöglich ist, die ultimativste aller Fragen (Was ist der Sinn des Lebens, der Existenz usw.) auch nur ansatzweise beantworten zu können – egal, in welchem Zeitalter oder Epoche wir leben. Vielleicht sind wir in 10000 Jahren dazu fähig – doch das kann heute noch niemand sagen.
Was wir jedoch sagen können: Unsere archaischen Vorfahren hatten diese Möglichkeit mit Sicherheit genauso wenig wie wir. Alles, was sie antrieb, als sie den Glauben an ein übernatürliches Superwesen entwickelten, war ihr Bestreben, ihre Unwissenheit und Angst in den Griff zu bekommen. Deshalb konstruierten sie das Konzept vom Schöpfergott, das ihnen half, einen Platz in einer mysteriösen Welt zu finden.
Das Vorstellungsvermögen unserer bronzezeitlichen Vorfahren
Das Universum auf einen Schöpfungsakt eines übernatürlichen Wesens zurückzuführen, reicht heute nicht mehr aus, um das Phänomen der Existenz zu erklären. Denn dieses Wesen wäre ebenfalls ein Bestandteil der Existenz und hätte deshalb auch eine Erklärung nötig.
Als Theisten können wir uns mit dieser intellektuell höchst unbefriedigenden Situation natürlich nicht abfinden und nur schwer arrangieren. Deswegen halten wir an den Assoziationen unserer Vorfahren aus der Stein- und Bronzezeit fest.
Diese Abhängigkeit charakterisiert die Dynamik aller etablierten Religionen in der heutigen Zeit. Indem wir an dem infantilen Glauben unserer Vorfahren festhalten, banalisieren und entmystifizieren wir das Universum und die Existenz, ohne es zu merken. Wir stagnieren.
Das ist sehr schade, denn unsere wissenschaftlichen Welterklärungsmodelle besitzen viel mehr Poesie und Schönheit als unsere schöpfergottbasierenden Welterklärungsversuche. Diese beruhen auf Angst und Unsicherheit und dem Bedürfnis, sich einer höheren Instanz unterzuordnen. So wie Gott in der Bibel beschrieben wird, ist ein normaler Mensch, allerdings mit allmächtigen Fähigkeiten.
Archaische Ethik und Moralvorstellungen
Unser Festhalten an den Welterklärungs- und Sinnstiftungssystemen unserer archaischen Vorfahren ist der Versuch, den geistigen und moralischen Herausforderungen der modernen Zeit ausweichen.
Wissen und Bewusstsein haben uns zwar aus dem »Paradies der Unwissenheit« vertrieben, doch wir weigern uns, dieses Wissen und die damit verbundene Verantwortung anzunehmen. Die Menschheit erinnert deshalb an ein Kind, das nicht erwachsen werden will, weil es die Verantwortung scheut. Aus diesem Grund pflegen und schützen wir instinktiv unsere Unwissenheit und zögern neue Erkenntnisse und neues Wissen möglichst lange hinaus.
Religion ist in ihrem Ursprung nichts anderes als der Versuch, die Existenz, das Leben, einfach alles, was es gibt, zu erklären. Dieses Bedürfnis ist natürlich und sehr verständlich.
Dieser Versuch fand vor ein paar Tausend Jahren statt und kann deshalb nur das Denken, Fühlen und Assoziieren von damals reflektieren! Doch das übersehen wir.
Die Fragen, die wir uns vor 3000 Jahren stellten, lauteten etwa so: Warum gibt es die Welt? Warum gibt es mich? Hat meine Existenz eine Bedeutung, und wenn ja, welche? Was bedeuten das alles?
Solche grundsätzlichen Fragen gab es schon vor 10000 Jahren. Selbst heute können wir keine endgültigen und erst recht keine befriedigenden Antworten darauf geben. Nach wie vor ist die Existenz für uns ein großes Rätsel, möglicherweise das einzige unlösbare überhaupt.
Natürliche und verständliche Gedanken unserer archaischen Vorfahren
Religion, das heißt, das Postulat eines Schöpfergottes, ist die Philosophie des nicht-intellektuellen, profanen Verstandes. Sie erklärt die Existenz mit einfachen Assoziationen. Theologie ist der Versuch, der Religion nachträglich eine Tiefe zu verleihen, die sie wesensbedingt nicht besitzen kann. Sie soll nur unseren potenziell kritischen Verstand betäuben.
Vor ein paar Tausend Jahren, als wir fast gar nichts von den Zusammenhängen, Ursachen und Gegebenheiten der Existenz und der Natur wussten, war es für uns wahrscheinlich normal, ein allmächtiges Wesen hinter all dem zu vermuten. Diese Vorstellung war damals nicht abwegig.
Da die Natur in Form von Katastrophen wie Erdbeben, Fluten, Blitzen oder gefährlichen Tieren schrecklich und grausam war, hatten wir keinen Grund, uns dieses Schöpferwesen anders vorzustellen. Deswegen sind unsere Götter so grausam, gewalttätig und unberechenbar.
Dass solche Eigenschaften niemals einen guten Gott repräsentieren können, wäre uns damals nicht in den Sinn gekommen, denn das Konzept des bedingungslosen Guten war noch nicht bekannt. Es war für uns in der Bronzezeit also nur folgerichtig, sich diesem Wesen zu unterwerfen, wie man sich einem Tyrannen unterwirft, wenn man nicht sterben will. Dieses Verhalten haben wir bis heute in vielen Gesellschaften nicht abgelegt.
Unterwerfung und Anpassung
Nur die unreifen Assoziationen unserer archaischen Vorfahren sind daher für die Inhalte unserer heutigen Heiligen Schriften verantwortlich. Sicherlich handelt es sich bei diesen Texten um Meisterwerke, um die Highlights der archaischen und antiken Literatur. Als Lebensorientierung sind sie jedoch vollkommen ungeeignet.
Vieles von dem, was in der Bibel steht, war in der Bronzezeit und auch noch im Mittelalter vielleicht fortschrittlich oder lehrreich – heute ist es das mit Sicherheit nicht mehr. Denn im Laufe der Jahrtausende (und insbesondere der letzten Jahrhunderte) hat sich unser Wissen und unsere Wahrnehmung erheblich gesteigert und verändert.
Wir wissen inzwischen von der Beschaffenheit der Erde, des Sonnensystems, des Universums, des Lebens (in groben, aber ausreichenden Zügen). Wir wissen jetzt, was Blitze, Erdbeben und dergleichen sind. Außerdem haben wir unsere Ethik und Moral weiterentwickelt, obwohl noch nicht sehr weit. Trotzdem sind wir in vielen Bereichen inzwischen reifer als unserer Götter.
Die geplatzte Blase
Vor drei‑, fünf- oder zehntausend Jahren lebten die Menschen noch in einer Blase. Sie kannten nichts anderes als den Erdboden unter ihren Füßen und die Kuppel des Himmels über ihren Köpfen. Diese Blase ist allerdings schon vor Jahrhunderten geplatzt.
Viele von uns tun aber so (mutwillig oder aus Trotz), als hätten sie das nicht bemerkt. Doch wenn wir wollten, könnten wir heute alle wissen, dass die Lehren unserer Vorfahren auf falschen und fehlerhaften Beobachtungen gründen. Wenn wir es nicht wissen, dann nur, weil wir als „Gewohnheitstiere“ von diesem Wissen nichts wissen wollen.
Eigentlich hätten wir unser archaisches Gottesbild schon längst ablegen können, um ein neues zu entwickeln, eines, das der Zeit angemessen ist: Ein humaner, freundlicher und verständlicher Gott wäre angebracht. Doch hier beginnt das Problem: Wir lehnen ein modernes Gottesbild ab, weil uns die Vorstellung eines autoritären Übervaters gefällt.
Unsere Fixierung darauf zeigt: Autorität gefällt uns. Wir schätzen die Unterwerfung anderer und sind bereit, uns dafür selbst zu unterwerfen. Es ist eine Hierarchiekette, die es jedem ermöglicht oder zumindest in Aussicht stellt, von oben legitimierte Macht über andere Menschen zu haben. Erkennen wir Gottes Allmachtsanspruch an, erhalten wir als Belohnung eine Position in dieser Machtrangfolge.
Verschonung als Belohnung
Ich könnte dich jederzeit töten, denn ich habe die Macht dazu – tue es aber nicht. Dafür erwarte ich aber, dass du mir dankst, indem du mich anbetest und alles tust, was ich von dir verlange. Tust du das nicht, töte ich dich vielleicht doch.
Religionen machen uns das Angebot: Unterwirfst du dich Gott, wird er dich nicht nur verschonen, sondern auch belohnen. (Wobei die Verschonung bereits der Hauptbestandteil der Belohnung ist.) Doch wichtig ist uns auch die Macht über andere, die uns unausgesprochen angeboten wird. Und wir sind ziemlich machtgierig, obwohl wir das ungern zugeben oder es uns gar nicht bewusst ist. Deswegen nehmen viele von uns dieses Angebot an.
Wir können zwar nicht der oberste Herrscher sein (was auch nicht unbedingt sein muss), doch besser ein kleiner als überhaupt keiner. Jeder kann Weisungsbefugnis über andere Menschen bekommen, einen Machtbereich und Wirkungsbereich haben, im Kleinen oder Größeren, wenn er sich unterwirft.
Der große Führer
Ein anderer Grund, aus dem die archaischen, monotheistischen, autoritären Religionen nach wie vor nicht aussterben, ist ihr Absolutheitsanspruch, der in seinem Kern faschistoid ist oder zumindest die Tendenz dazu besitzt.
Keine Religion sagt beispielsweise: Auch wer nicht an mich glaubt, wird Erfüllung finden. Jesus sagt nirgendwo (selbst sinngemäß nicht): »Egal, ob ihr glaubt oder nicht glaubt – das spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass ihr friedlich und freundlich durchs Leben geht, denn mehr verlangt mein Vater von euch nicht.«
Stattdessen droht Jesus den Leuten ewige Höllenstrafe an, wenn sie nicht glauben. Oft werden Andersgläubige von Jesus verdammt. Fortschrittlich ist das nicht.
Wir haben in uns eine verborgene Sehnsucht nach einer Führung, die unsere Taten moralisch legitimiert und uns die Verantwortung für unser Handeln und Denken abnimmt. Religionen lassen sich gut für dieses Bedürfnis missbrauchen. Sie verharmlosen nach wie vor Gewalt, denn sie akzeptieren das gewalttätige und grausame Vorgehen ihres Gottes in seiner Anfangszeit. Oft führen wir unsere Kriege auch im Namen und mit dem gefühlten Segen unseres Gottes.
Monotheistische Religionen, die auf Freundlichkeit und Friedlichkeit gründen, haben kaum Chancen, sich durchzusetzen. Es gibt sie auch gar nicht.
Gehorsamkeit, Strafe und Belohnung
Oft reden monotheistischen Religionen zwar von Liebe, Vergebung und Sanftmut, stets aber in Kombination mit Unterwerfung, Gehorsamkeit und Bestrafung.
Liebe und Vergebung sind bei den monotheistischen Religionen bloß Belohnungen für unsere Gottesfurcht (obwohl wir ihn doch lieben sollten). Sie sind keine Geschenke und keine Liebe, sondern nur Duldung. Solange wir das tun, was Jehova von uns verlangt, verzichtet er darauf, uns zu vernichten – hält sich diese Option aber weiterhin offen. Wir liefern uns unserm Gott aus und hoffen für unsere Unterwerfung, die wir euphemistisch »Hingabe« nennen, als Belohnung Gnade (also Verschonung) zu erhalten.
In diesem Sinn reflektieren unsere Religionen nur die Zustände in den Gesellschaften. In totalitären Staaten ist das besonders deutlich: Verhält man sich dem Alleinherrscher gegenüber unterwürfig, wird man wahrscheinlich verschont und kann mit Privilegien rechnen.
Aber auch in den freien, demokratischen Gesellschaften werden wir selten bedingungslos geliebt, gemocht oder anerkannt. Das ist meistens nur dann der Fall, wenn wir uns liebenswert verhalten, uns den Konformitäten also anpassen (was vorgetäuscht sein darf, solange es nicht bemerkt wird), und uns die Liebe und Anerkennung durch ein ganz bestimmtes Verhalten erwerben.
Geliebte Unmündigkeit
Religionen sagen niemals: Werde selbstständiger, werde unabhängig im Denken und Fühlen, entwickle deinen eigenen Lebensstil.
Sie sagen das Gegenteil: Unterwerfe dich und gehorche, ordne dich ein und unter, stell keine Ansprüche, sei bescheiden usw., dann wird Gott dich lieben und dafür wird er dich belohnen!
Diese Forderungen kommen uns entgegen, denn so verhalten wir uns schon seit Anbeginn der Zivilisation. Wie man sich unterwirft und gehorsam verhält, wissen wir sehr gut. Wie wissen auch, wie man andere unterwirft und ihnen Gehorsam abverlangt. Doch wir sind schnell überfordert, wenn von uns erwartet wird, selbstständig zu denken und eigenverantwortlich zu handeln.
Und besonders schwer fällt es uns, zu akzeptieren oder sogar zu schätzen, dass andere Menschen andere Meinungen, andere Lebensstile, andere Traditionen und andere Kulturen haben. Von diesem Unvermögen leben unsere Religionen. Sie sind Spiegel unserer Toleranzunfähigkeit.
Gewohnheit und Anpassung
Ein weiterer Aspekt der religiösen Konditionierung ist das Gewohnheitsprinzip: Sich von alten Strukturen und Rollen zu lösen ist schwer, oft sogar unmöglich. Zusätzlich spielt der Herdentrieb eine Rolle. Wir machen alles mit, was die Mehrheit macht, denn in unserem Inneren sind wir fast alle Opportunisten.
Wir sind nicht deshalb Moslems, Christen oder Juden, weil wir uns bewusst für diese Religionen entschieden haben, sondern weil unsere Eltern das sind oder waren, beziehungsweise die Gesellschaft, in die wir hineingeboren wurden, so geprägt ist.
Eine bewusste, autonome Wahl findet fast nie statt. Wir sind meistens sowieso nicht daran interessiert, ob das, woran wir glauben oder wovon wir überzeugt sind, wirklich wahr ist. Hauptsache, wir haben etwas, woran wir glauben können, und sind mit diesem Glauben nicht allein. Inhalte spielen nur eine untergeordnete Rolle.
Der imaginäre Freund
Kinder haben, so heißt es manchmal, imaginäre Freunde, mit denen sie reden und spielen. Werden sie älter und reifer, wissen sie, dass es nur Fantasiegestalten waren. Sie haben ihre Funktion erfüllt und werden nicht mehr gebraucht.
Betrachtet man die Menschheit als noch nicht erwachsen, vergleicht sie also mit einem Kind, scheinen ihre Götter ihre imaginären Freunde zu sein.
Kinder imaginieren sich Fantasiegestalten, weil sie sich allein fühlen, wir imaginieren uns unsere Götter aus einem ähnlichen Grund. Beendet die Menschheit also im Laufe der nächsten Jahrhunderte ihre Jugend, muss sie unbedingt auch den fiktiven Charakter ihrer Götter erkennen. Das ist die unbedingte Voraussetzung für ein verantwortungsvolles Erwachsenendasein der Menschheit.
Das religiöse Stockholmsyndrom
Der Glaube an den biblischen Gott ist der Glorifizierung eines finsteren Tyrannen ähnlich. Diese Verherrlichung geschieht aus der Not heraus. Sie ist dem sogenannten Stockholmsyndrom ähnlich: Man ist einem Tyrannen, einem Gewalttäter ausgeliefert, der alles mit einem machen kann, was er will.
Diese Person oder Macht ist unberechenbar. Sich der Situation zu entziehen oder den Tyrannen zu bekämpfen ist nicht möglich, da er viel zu mächtig ist. Die einzige Chance, die Situation unbeschadet zu überstehen, ist sich ihr anzupassen. Und das geht am besten, indem man sich den Tyrannen zum Freund macht.
Intuitiv spüren wir vielleicht, dass die eigene Überlebenschance größer ist, wenn diese Freundschaft nicht nur vorgetäuscht wird. Sie sollte möglichst echt sein. Und das bedeutet: Man muss lernen, die Gebote und Regeln dieses Tyrannen wirklich zu mögen und zu lieben, denn täte man nur so, würde er es früher oder später merken.
Kollektive Selbsthypnose
Sobald man diese Gesetze aber verinnerlicht hat und an sie glaubt, weiß man nicht mehr, dass der ursprüngliche Grund, aus dem man sich angepasst hat, nur die Angst vor dem Tyrannen war. Im Unterbewusstsein könnte man die ursprünglichen Motive für den Glauben an den göttlichen Tyrannen vielleicht noch aufspüren, doch das würde die eigene „Tarnung“ gefährden, also unterlässt man solche Nachforschungen instinktiv.
Wir sind nicht fähig, dauerhaft in einer moralisch zwiespältigen Situation zu leben, ohne früher oder später daran zu zerbrechen oder zu erkranken. Deswegen empfinden wir das, was wir zuvor aus Furcht angenommen hatten, jetzt als Segen. Dieser Prozess kann sich über ganze Generationen erstrecken und der Glaube an einen tyrannischen Gott erscheint am Ende wie der Glaube an einen Wohltäter.
RELIGION IM 21. JAHRHUNDERT
Die vorstehende Analyse erscheint mir sehr schlüssig. Je mehr die Menschen wissen, desto weniger sind sie, wie vor 3000 Jahren, auf Spekulationen über Gott und die Welt angewiesen, sodass das Bedürfnis nach Religion abnimmt, wie Akire richtig bemerkt. Das „Alte Testament“ enthält eine Kosmogonie (Welterklärungssage), wie sie alle Völker haben und wohl „brauchen“. Daneben stellt es die Götter- und Heldensagen der Juden dar, die auch alle Völker haben – mit dem Unterschied, dass auf seinem Boden das Christentum wuchs und auch der Islam davon beeinflusst wurde. Das Judentum hat damit die religiöse Entwicklung der Welt majorisiert. Diese herrische Tendenz findet sich bereits in 4. Mose 24, 17 (zitiert nach dem jüdischen Tanach);: „Ein Stern wird bestimmt aus Jakob hervortreten, und ein Zepter wird tatsächlich aus Israel erstehen, die Welt zu beherrschen.. Und er wird gewiss die Schläfen Moabs zerschmettern und den Schädel aller Söhne Seths.“
Was in der Analyse fehlt, ist eine Aussage darüber, wieso manche Menschen eine Religion „stiften“, wie Mosche, Jeschua und Mohammed. (Buddhas Lehre ist keine Religion, sondern eine Philosophie). Dass sich eine Lehre durchsetzt, hängt von Zufälligkeiten ab: Konstantin benutzte das Christentum, um das römische Reich zu stabilisieren, und machte es zur Staatsreligion. Mohammed gewann entscheidende Schlachten gegen seine Widersacher; danach eroberten Araber und Türken den größten Teil des Mittelmeerraumes. Der Ausbau der Lehren dagegen ernährt Priesterschaften Jahrhunderte lang.
Danke für die wohlwollenden Worte zu meiner „Abhandlung“ zum Thema Religion. Als Analyse würde ich sie jedoch nicht bezeichnen. Hierfür fehlt mir die akademische Bildung, die für ein tieferes Verstehen des „Phänomens des Glaubens an ein Schöpferwesen“ unbedingt nötig wäre.
Das, was deiner Meinung nach fehlt, findet man jedoch verstreut (zumindest teilweise oder in Ansätzen) auf anderen Seiten meines Blogs, die den Themenkomplex „Religion/Gott/Glauben“ behandeln. Auf der Seite Archaische Gewohnheiten mache ich beispielsweise darauf aufmerksam, dass der Buddhismus eigentlich keine Religion, sonder eher eine Philosophie ist:
Aber du schreibst ja selbst, dass der Zufall entscheidet, welche Lehre (Religion) sich letztendlich durchsetzt und etabliert. Dass wiederum bedeutet: Die Entwicklungsgeschichte einer Religion ist letztendlich willkürlich, da sie auch anders hätte verlaufen können. Deshalb bin ich mir nicht sicher, ob es wirklich wichtig ist, wer welche Religion gestiftet hat, warum er es tat und welche Umstände den ganzen Prozess begleitet haben, um das Wesen der Religion verstehen zu können. Ein Studium der Religionsgeschichte wäre hierfür wahrscheinlich nötig.
Alles, was ich zum Thema Religion etc. schreibe, schreiben kann, fußt ausnahmslos auf meine Beobachtungen und Assoziation. Mehr Möglichkeiten habe ich nicht.
Ich habe Ihren Artikel nur überflogen, aber et spricht mir aus der Seele.
Einfach nur sehr klar und einleuchtend in jeder Hinsicht.
So denke ich selbst schon mein ganzes Leben lang.
Bin gerade auf einmonatigem Winterurlaub in Ägypten.
Es ist erschreckend wie sich hier die islamische Religion wie ein roter Faden durch das gesamte Leben der Menschen hier zieht.
Im Grunde sind hier alle Glaubensgesteuert ohne markante Individualität, was sehr traurig ist und ein Klima des Stillstandes und einer Art ewiger Hoffnungslosigkeit erzeugt.