Hybris der Ideo­lo­gien und Reli­gio­nen


Ein Raum mit vielen Käfigen an den Wänden, in denen Menschen eingesperrt sind.

Ideo­lo­gien und Reli­gio­nen sind geis­ti­ge Gefäng­nis­se

Nicht auf die bür­ger­li­che, intel­lek­tu­el­le, the­is­ti­sche oder athe­is­ti­sche Sicht­wei­se kommt es an, son­dern ganz allein auf unser Ver­hal­ten.

Es geht nicht dar­um, ein bür­ger­li­cher Mensch oder ein Intel­lek­tu­el­ler zu sein, auch kein Athe­ist, The­ist, Anar­chist oder Demo­krat. Denn die­se Kate­go­rien, mit denen wir uns oft nur ober­fläch­lich eti­ket­tie­ren oder aus­schmü­cken, sind alle rela­tiv und bedeu­ten ohne einen kon­kre­ten Bezugs­rah­men sowie­so nicht viel.

Was wir nicht wis­sen: Unse­re Ideo­lo­gien und Reli­gio­nen fun­gie­ren unbe­wusst als Stüt­zen für unse­re Inte­gri­tät als sozia­li­sier­te Wesen. Eigent­lich hät­ten wir sie nicht nötig, doch da von uns erwar­tet wird, jemand zu sein, der Ansich­ten, Mei­nun­gen und Lebens­ein­stel­lun­gen hat, sind wir genö­tigt, uns wel­che „zuzu­le­gen“ (vor­aus­ge­setzt, wir wol­len am all­ge­mei­nen sozia­len Leben teil­ha­ben). Hier­für steht uns eine Art Bau­kas­ten­sys­tem zur Ver­fü­gung, aus dem wir wäh­len kön­nen, um uns ideo­lo­gisch- und reli­gi­ons­tech­nisch aus­stat­ten zu kön­nen.

Ent­wick­lungs­tech­ni­scher Stör­fak­tor

Ein intel­lek­tu­el­ler Mensch kann genau­so destruk­tiv han­deln wie ein bür­ger­li­cher. Das gilt für alle Iden­ti­täts­ka­te­go­rien, denen wir uns zuord­nen, wenn wir uns als irgend­et­was bezeich­nen. Stel­len wir unse­re Ideo­lo­gie oder Reli­gi­on über die unse­rer Mit­men­schen, neh­men wir unse­ren welt­li­chen oder reli­giö­sen Glau­ben erns­ter, als es sei­ne Rele­vanz recht­fer­ti­gen könn­te.

Des­halb sind unse­re Ideo­lo­gien und Glau­bens­sys­te­me letzt­end­lich Stör­fak­to­ren im Getrie­be des moder­nen Ent­wick­lungs­mo­tors des Orga­nis­mus Mensch­heit. Fun­da­men­tal aus­ge­lebt haben sie immer nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen und hal­ten die Anspan­nung und die Auf­spal­tung der Welt in ver­schie­de­ne Frak­tio­nen auf­recht.

The­is­ten sagen, allein der Glau­be an Gott kann die Welt ret­ten.
Intel­lek­tu­el­len ist die Auf­klä­rung der Men­schen das Wich­tigs­te.
Athe­is­ten sehen das Wohl der Mensch­heit viel­leicht im Ratio­na­lis­mus.
Für Anar­chis­ten ist die Herr­schafts­lo­sig­keit die Lösung aller gesell­schaft­li­chen Pro­ble­me.

Gleich­zei­tig sieht jede die­ser „Grup­pen“ in ihrem tat­säch­li­chen oder gefühl­ten Gegen­spie­ler den Grund für das Übel in der Welt:

Für The­is­ten ist es die Gott­lo­sig­keit, für Athe­is­ten die eta­blier­ten Reli­gio­nen und die Pries­ter­schaft, für Anar­chis­ten die Bür­ger­lich­keit und für Intel­lek­tu­el­le ist die man­gel­haf­te Bil­dung der Mas­sen ver­ant­wort­lich für das Übel in der Welt.

So hin­dern wir uns selbst, erken­nen zu kön­nen, dass unser Ver­hal­ten im all­ge­mein (als Ein­zel­ne und Gemein­schaf­ten) für die Miss­stän­de in der Welt ver­ant­wort­lich ist.

Reli­gio­nen und Ideo­lo­gien ratio­na­li­sie­ren Leid

Es ist voll­kom­men egal, wie wir uns nen­nen, was wir glau­ben oder behaup­ten zu sein, denn nur auf unser Ver­hal­ten kommt es an. Doch die­ses ist bis­her unge­eig­net zur Gestal­tung einer fried­li­chen und freund­li­chen Welt.

Dass wir alle sosehr an unse­ren Ideo­lo­gien und Glau­bens­sys­te­men fest­hal­ten, die letzt­end­lich nur unse­re Ent­wick­lung behin­dern, zeigt: Fried­lich­keit, Freund­lich­keit und auch Wei­ter­ent­wick­lung sind gar nicht unse­re obers­ten Prio­ri­tä­ten, obwohl wir das oft und gern behaup­ten und viel­leicht auch glau­ben. Natür­lich haben wir nichts gegen die­se Prin­zi­pi­en, – wich­ti­ger ist uns aller­dings der Glau­be oder die poli­ti­sche Ein­stel­lung. Und für jeden ist der eige­ne Glau­be oder die eige­ne Ideo­lo­gie natür­lich bes­ser und rich­ti­ger als die ande­ren. Die Kon­flik­te sind daher vor­pro­gram­miert.

Ideo­lo­gien und Reli­gio­nen sind kei­ne Frie­dens­stif­ter

Bis­her haben weder Reli­gio­nen noch Sys­te­me Fried­lich­keit und Freund­lich­keit dau­er­haft in irgend­ei­nem Land her­vor­ge­bracht. Oft ist sogar das Gegen­teil der Fall: Reli­gio­nen und Ideo­lo­gien sind in vie­len Fäl­len die Ursa­chen für Strei­tig­kei­ten, die Fried­lich­keit und Freund­lich­keit unmög­lich machen.

Denn alle Glau­bens­sys­te­me und Ideo­lo­gien haben eine Eigen­schaft gemein­sam: Sie dif­fe­ren­zie­ren sich im Lau­fe der Zeit aus und aus einer ursprüng­lich ein­heit­li­chen Leh­re ent­ste­hen im Lauf der Jahr­zehn­te oder Jahr­hun­der­te unter­schied­li­che, die sich unter Umstän­den dann gegen­sei­tig bekämp­fen.

Vor zwei­tau­send Jah­ren gab es bei­spiels­wei­se nur ein Chris­ten­tum, inzwi­schen gibt es diver­se christ­li­che Kon­fes­sio­nen, die sich in eini­gen Fäl­len sogar im Krieg mit­ein­an­der befan­den oder es immer noch sind. Nicht anders ist es im Islam und im Hin­du­is­mus.

Oft sind die­se Dif­fe­ren­zen unwe­sent­lich und trotz­dem die Ursa­chen schreck­li­chen Leids. Das lässt ver­mu­ten, die eigent­li­chen Grün­de für unse­re reli­gi­ons­be­ding­ten oder ideo­lo­gi­schen Kon­flik­te sind gar nicht die angeb­li­chen Unver­ein­bar­kei­ten bestimm­ter reli­giö­ser oder poli­ti­scher Inhal­te. Unse­re reli­giö­sen und ideo­lo­gi­schen Unter­schie­de die­nen uns ledig­lich als Recht­fer­ti­gung für unser krie­ge­ri­sches Gemüt. Pro­vo­kant aus­ge­drückt: Wir brau­chen Reli­gio­nen und Ideo­lo­gien, um mit gutem Gewis­sen Krie­ge füh­ren zu kön­nen.

Eman­zi­pa­ti­on statt Ideo­lo­gie, Reli­gi­on und Dog­ma

Die Welt braucht also kei­ne Ideo­lo­gien, Reli­gio­nen oder Dog­men. Die­se sind zur Frie­dens­stif­tung alle unge­eig­net. Wären sie das, sähe die Welt heu­te anders aus. Wir müs­sen uns von die­sen Fes­seln befrei­en, denn ihre Ära nähert sich ihrem Ende. Das Stich­wort für unse­re Zukunft soll­te des­halb lau­ten: Eman­zi­pa­ti­on der Indi­vi­dua­li­tät.

Zur Fried­lich­keit und Freund­lich­keit kön­nen wir sowie­so nur vor­über­ge­hend kon­di­tio­niert oder ani­miert wer­den, denn die gelern­te Fried­lich­keit basiert meis­tens auf der Unter­drü­ckung unse­rer destruk­ti­ven Impul­se. Frü­her oder spä­ter bre­chen die­se wie­der durch und rich­ten dann viel­leicht mehr Scha­den an als zuvor.

Der ein­zi­ge Erfolg ver­spre­chen­de Weg in eine bes­se­re Welt scheint somit zu sein: Fried­lich­keit und Freund­lich­keit, weil wir die­se Prin­zi­pi­en wirk­lich mögen, und nicht, weil wir uns aus Ver­nunft­s­grün­den dazu genö­tigt füh­len.

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