Archai­sche Gewohn­hei­ten


Um ein Lagerfeuer herum sitzen Steinzeitmenschen. Im kreis befindet sich auch ein Säbelzahntiger.

Pseu­do­mo­der­ne Zei­ten

Unser Zeit­al­ter nen­nen wir das Zeit­al­ter der Auf­klä­rung und Moder­ne, inzwi­schen auch das Atom- oder Com­pu­ter­zeit­al­ter oder Anthro­po­zän (Zeit­al­ter des moder­nen Men­schen). Wir glau­ben, die Pri­mi­ti­vi­tät des Mit­tel­al­ters weit hin­ter uns gelas­sen zu haben. Trotz­dem ist die Welt in vie­len Berei­chen noch von mit­tel­al­ter­li­chen und sogar archai­schen Tra­di­tio­nen und Struk­tu­ren durch­drun­gen.

Die bedeu­tends­te aus Vor­zei­ten über­lie­fer­te Tra­di­ti­on ist die Reli­gi­on. Es gibt prak­tisch kein Land, das nicht reli­gi­ös geprägt ist, obwohl der Glau­be an einen Gott in den Län­dern unter­schied­lich aus­ge­prägt ist. Reli­gi­on – der Glau­be an ein über­na­tür­li­ches Lebe­we­sen, das wir Gott nen­nen, und das Uni­ver­sum erschaf­fen haben soll – ist eine glo­ba­le Tra­di­ti­on und betrifft die gesam­te Mensch­heit.

Archai­sches Den­ken in moder­nen Zei­ten

Die Tra­di­ti­on der Reli­gi­on trans­por­tiert aus­schließ­lich archai­sches Den­ken und Asso­zi­ie­ren – das über­se­hen wir oft. Es gibt kei­ne Reli­gi­on, die in moder­ner Zeit ent­stan­den ist. Selbst Orga­ni­sa­tio­nen wie Sci­en­to­lo­gy, die sich als Reli­gi­on bezeich­nen, tun dies häu­fig aus prag­ma­ti­schen Grün­den – wie etwa der Steu­er­be­frei­ung in den USA.

Ent­steht doch ein­mal eine neue Reli­gi­on, han­delt es sich meist um eine Sek­te, also einen Able­ger einer bereits bestehen­den, tra­di­tio­nel­len Reli­gi­on. Der Ursprung des reli­giö­sen Glau­bens liegt oft in den Ängs­ten unse­rer archai­schen Vor­fah­ren vor den Natur­ge­wal­ten. Eine Aus­nah­me bil­det der Bud­dhis­mus und ver­wand­te Leh­ren, die eher als phi­lo­so­phi­sche Sys­te­me zu betrach­ten sind – auch wenn sie in der Pra­xis oft kaum anders aus­ge­übt wer­den als der Glau­be an einen Schöp­fer­gott. Das ist bedau­er­lich.

Die drei gro­ßen Buch­re­li­gio­nen – Juden­tum, Chris­ten­tum und Islam – sind das Ergeb­nis jahr­tau­sen­de­lan­ger Sub­li­mie­rung unse­rer Urängs­te. Zwar haben wir die­se Ängs­te heu­te teil­wei­se über­wun­den, doch hal­ten wir wei­ter­hin an ihren reli­giö­sen Pro­duk­ten fest, obwohl wir es längst bes­ser wis­sen könn­ten.

Unse­re archai­schen Ängs­te haben sich ins Unter­be­wusst­sein zurück­ge­zo­gen – wie die dif­fu­se Furcht, im Dun­keln von etwas Unsicht­ba­rem ange­grif­fen zu wer­den. Gleich­zei­tig bestim­men moder­ne Exis­tenz­ängs­te unser Tages­be­wusst­sein, etwa die Sor­ge um den Ver­lust des Arbeits­plat­zes.

Moder­ne Tech­nik und ver­al­te­te Moral

Modern an unse­rem Zeit­al­ter ist haupt­säch­lich unse­re Tech­no­lo­gie. Wir flie­gen zum Mond, kre­ieren im Com­pu­ter vir­tu­el­le Wel­ten, kön­nen mit einer ein­zi­gen Bom­be eine Groß­stadt in Schutt und Asche legen und brin­gen die gesam­te Welt­li­te­ra­tur auf eini­ge Qua­drat­zen­ti­me­ter Spei­cher­platz. Doch unse­re Moral und Ethik unter­schei­det sich nur gering­fü­gig von der unse­rer archai­schen oder mit­tel­al­ter­li­chen Vor­fah­ren. Das ist beschä­mend.

Wir könn­ten heu­te alle wis­sen, dass die Tex­te aus der Stein- und Bron­ze­zeit – die soge­nann­ten hei­li­gen Schrif­ten – größ­ten­teils Mythen und über­zo­ge­ne Dich­tun­gen sind. Sie sind das Pro­dukt einer Kom­bi­na­ti­on aus Unwis­sen­heit und Angst in einer lebens­feind­li­chen Welt. Den­noch rich­ten wir unser Leben wei­ter­hin nach die­sen archai­schen Vor­stel­lun­gen aus, obwohl vie­le ihrer Geschich­ten wahr­schein­lich kaum mehr als einen sym­bo­li­schen Kern besit­zen.

Wenig Fort­schritt in Moral und Ethik

Sicher­lich haben wir uns ethisch und mora­lisch seit der Bron­ze­zeit wei­ter­ent­wi­ckelt, jedoch nicht in dem Maß, das wir uns ger­ne ein­re­den. Krie­ge füh­ren wir noch immer – wie unse­re archai­schen Vor­fah­ren. Aller­dings sind unse­re bewaff­ne­ten Kon­flik­te heu­te tau­send­mal zer­stö­re­ri­scher. Das ist kein Fort­schritt, son­dern ein Armuts­zeug­nis.

Wir betrü­gen, steh­len, ver­ge­wal­ti­gen und miss­brau­chen nach wie vor. Die Gewalt­be­reit­schaft hat sich nur mar­gi­nal ver­än­dert. Ein Kreuz­rit­ter, der im Namen sei­nes Got­tes tötet, und ein moder­ner Mensch unter­schei­den sich dar­in kaum, obwohl wir uns als auf­ge­klärt bezeich­nen.

Man­che Phi­lo­so­phen argu­men­tie­ren, dass Krie­ge der Ent­wick­lung der Zivi­li­sa­ti­on dien­lich sei­en. Sie beschleu­ni­gen angeb­lich Fort­schrit­te in Tech­nik und Kul­tur. Doch selbst wenn das his­to­risch zutrifft, bedeu­tet es nicht, dass es so blei­ben muss. Werk­zeu­ge, Metho­den und Prin­zi­pi­en ver­lie­ren mit der Zeit ihre Nütz­lich­keit. Krieg ist ein Werk­zeug, das längst durch bes­se­re Alter­na­ti­ven ersetzt wer­den könn­te.

Pri­mi­ti­vi­tät des Krie­ges

Krieg war in der Ver­gan­gen­heit wahr­schein­lich ein Beschleu­ni­gungs­fak­tor unse­rer Ent­wick­lung. Doch er ist und bleibt die pri­mi­tivs­te Form der Kon­flikt­lö­sung – ange­wandt seit der Stein­zeit. Das Prin­zip hat sich in 5000 Jah­ren nicht ver­än­dert: Wir töten unse­re Geg­ner, anstatt uns mit ihnen zu eini­gen.

Die Anfor­de­run­gen an einen Sol­da­ten in einem Angriffs­krieg sind dabei erschre­ckend sim­pel: Skru­pel­lo­sig­keit und Gleich­gül­tig­keit. Doch das sind kei­ne Tugen­den, son­dern Unfä­hig­kei­ten. Die Unfä­hig­keit, als erwach­se­ner, eman­zi­pier­ter Mensch eigen­stän­dig zu füh­len und ver­ant­wort­lich zu han­deln.

Eman­zi­pier­te Men­schen, die Mit­ge­fühl und Empa­thie zei­gen, sind für die Zukunft der Mensch­heit unver­zicht­bar. Sie erken­nen, dass eine ver­fei­ner­te Art des Den­kens und Han­delns not­wen­dig ist, damit die Mensch­heit eine nach­hal­ti­ge Zukunft hat.

Ende der gro­ßen Kathar­sis

Unse­re tech­no­lo­gi­schen Fort­schrit­te dür­fen nicht dar­über hin­weg­täu­schen, dass wir uns als Mensch­heit noch in der glei­chen Ent­wick­lungs­pha­se befin­den wie vor 2000 oder 3000 Jah­ren. Außer­dem gilt: Was heu­te als Fort­schritt gilt, wird in tau­send Jah­ren pri­mi­tiv erschei­nen.

Viel­leicht endet die­se Pha­se, die man als „gro­ße Kathar­sis“ bezeich­nen könn­te, in den nächs­ten Jahr­hun­der­ten. Die Pes­si­mis­ten glau­ben, dass ein letz­ter gro­ßer Krieg – ein glo­ba­ler Atom­krieg – die­sen Wan­del ein­lei­ten wird. In die­sem Sze­na­rio ver­nich­tet sich die Mensch­heit fast voll­stän­dig und erhebt sich anschlie­ßend geläu­tert und wei­ser aus der Asche.

Opti­mis­ten hin­ge­gen hof­fen auf einen Bewusst­seins­sprung, der die Mensch­heit kol­lek­tiv zu rei­fe­ren Wesen macht. Ob eines die­ser Sze­na­ri­en ein­tritt oder die Geschich­te einen ande­ren Ver­lauf nimmt, ist unge­wiss. Sicher ist nur, dass Ent­wick­lun­gen oft anders ver­lau­fen, als wir sie vor­her­se­hen.

Zukunft braucht Ver­än­de­rung

Im Prin­zip ist also alles offen. Doch wir müs­sen drin­gend unser Ver­hal­ten ändern. Andern­falls könn­ten die düs­te­ren Pro­gno­sen wahr wer­den – und das ist kein Schick­sal, dem wir uns erge­ben müs­sen.

Die Lösung des Pro­blems: Wir müs­sen unse­re Mög­lich­kei­ten end­lich wahr­neh­men und ein­se­hen, dass die Welt nur des­halb ein Ort der Krie­ge, des Elends, der Armut, der Aus­beu­tung und des Hun­gers ist, weil wir sie dazu machen.

Die­se Men­ta­li­tät ist für eine glo­ba­le Zukunft unbrauch­bar. Um unser Ver­hal­ten zu ändern, müs­sen wir zuerst ver­ste­hen, dass wir Erden­bür­ger sind – kei­ne Natio­nen, kei­ne Kon­kur­ren­ten, kei­ne blo­ßen Wirt­schafts­teil­neh­mer. Nur dann kann eine ech­te Trans­for­ma­ti­on gelin­gen.


ARCHAI­SCHE GEWOHN­HEI­TEN ABLE­GEN


1 Gedanke zu „Archai­sche Gewohn­hei­ten“

  1. Dazu müss­ten die Erden­bür­ger vor­al­lem in der Lage sein, nicht die dümms­ten als Ihre Ver­tre­ter zu wäh­len, son­dern intel­li­gen­te, unab­hän­gi­ge, objek­ti­ve Volks­ver­tre­ter zu bestel­len. Natür­lich müs­sen dazu auch objek­ti­ve Wahl­sys­te­me usw. erfun­den wer­den, oder alte Errun­gen­schaf­ten (Wei­sen­rat) wie­der mehr Gewicht bekom­men.

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