Das Sündenbockprinzip
Viele Menschen benutzen Sündenböcke. Sündenböcke gehören zur Gruppe der Lebensfrust-Ableiter bzw. Lebensfrust-Kompensatoren (zu denen auch Religion und Verschwörungsglaube zählen können).
Wollen wir für irgendeinen Vorfall, einem schlimmen Versäumnis oder unserer allgemeinen Unfähigkeit, ein zufriedenstellendes Leben nach unserer Vorstellung führen zu können, nicht verantwortlich sein (um Erkenntnisse über uns selbst zu vermeiden), brauchen wir einen »Ersatzverantwortlichen«.
Als ersatzverantwortlich wird oft die allgemeine Situation herangezogen. Wenn diese sich nicht eignet, sind andere Menschen für uns die Schuldigen. Aber auch Konzerne, Systeme oder die Politik der Regierung eignen sich gut dafür. Und als ultimativer und universeller Lebensfrustableiter bietet sich die Tradition des Judenhasses an. Dieser Hass speist sich jedoch niemals aus tatsächlich erlebten und bekannten Taten von Juden in der Vergangenheit und Gegenwart.
Juden, der universelle Sündenbock
Es ist eine Schande für die Menschheit, dass sie sich einen Sündenbock hält.
Fanatische Antisemiten behaupten, Juden wären der Feind der Deutschen und sogar der gesamten Menschheit und müssten deshalb bekämpft und letztendlich vernichtet werden. Infolgedessen gäbe es eine natürliche Feindschaft zwischen ihnen und dem Rest der Welt.
Orthodoxe Juden haben sicherlich ihre skurrilen Eigenarten und im Laufe der letzten 1000 Jahre haben Juden ganz allgemein ihre Nischen in der Wirtschaftswelt gefunden – doch das trifft auch auf andere Völker zu.
Beispielsweise dürften orthodoxe Juden sonntags eigentlich nicht arbeiten. Da es in der heutigen modernen Zeit aber immer mehr und mehr Tätigkeiten gibt, die auch an Feiertagen gemacht werden müssen, hat man Tricks entwickelt, die es erlauben, doch am Sonntag zu arbeiten, ohne es Arbeit zu nennen.
(Persönliche Randbemerkung: Arbeit kann auch Definitionssache sein, sie kann auch als Empfindung wahrgenommen werden. Was dem einen eine Arbeit ist, ist für den anderen vielleicht ein Vergnügen und deshalb keine Arbeit.)
(Der islamistische Antisemitismus hingegen ist überwiegend ein Produkt der Neugründung Israels inmitten islamischer Staaten über deren Köpfe hinweg.)
Gaukler, Geldverleiher, Juweliere
Viele Juden sind im Showbusiness, in der Wirtschaft und der Geldwirtschaft tätig. Im Mittelalter hatte man ihnen alle bürgerlichen und handwerklichen Berufe verboten und ihnen bevorzugt nur die erlaubt, die von der Kirche als unmoralisch bezeichnet wurden. Sie durften Juweliere, Geldverleiher oder Kaufleute sein, denn diese Tätigkeiten hatten einen schlechten Ruf, obwohl sie dringend gebraucht wurden.
Heute wirft man ihnen vor, sich auf diese Berufe spezialisiert zu haben und dort jetzt überrepräsentiert zu sein. Doch die Menschheit hat sich ihren Universalsündenbock selbst über die Jahrhunderte hinweg herangezüchtet und kultiviert.
Die karmische Disposition des jüdischen Volkes
Einige Rechtsesoteriker (beispielsweise der Alternativmediziner Rüdiger Dahlke) begründen die jüdische Diaspora, die vielen Pogrome, aber auch den Holocaust mit einer karmischen Gesamtschuld der Juden. Durch ihre alttestamentarischen Vernichtungskriege gegen andere Völker hätten sich die Juden ein negatives Karma zugezogen, das im Holocaust seinen kumulativen Höhepunkt fand.
Doch bei diesem Argument kann man nur mit der Schulter zucken und fragen: „Na und?“ Welches Volk in der Antike hat denn keine ungerechten und grausamen Kriege gegen andere Völker geführt? Selbst wenn es ein paar gegeben hat – die allermeisten Völker in der Stein- und Bronzezeit haben permanent Kriege geführt, die ebenfalls ungerecht, grausam und barbarisch waren. Alle Völker durften damals also Kriege führen, nur die Juden nicht?
Außerdem haben die alttestamentarischen Juden nur das getan, was ihnen Gott laut Bibel aufgetragen hatte. Was werfen die Antisemiten, die oft selbst fundamentalistisch gottgläubig sind, den Juden also vor? Etwa, dass sie Gott gegenüber gehorsam waren? Das „Argument“ mit der karmischen Schuld ist deshalb schnell als konstruiert entlarvt.
Die Messias-Psychose
Dass ausgerechnet den Juden im Laufe der letzten 2000 Jahre die Rolle des Allzweck-Sündenbocks zugewiesen wurde, wurzelt vielleicht in ihrer Weigerung, Jesus als Messias bzw. Gottes Sohn anzuerkennen. Hätten sie nach und nach diese Haltung im frühen 1. Jahrtausend aufgegeben, hätte sich vielleicht kein dauerhafter Antisemitismus entwickeln können.
Die staatenlosen Juden hätten sich im Laufe der Zeit ganz normal in die europäischen und arabischen Völker integrieren können und wären als Israeliten verschwunden und vielleicht auch als Juden.
Hätten sie Jesus als Gründer einer neuen Religion sogar begrüßt, wäre ihnen wahrscheinlich eine wichtige Rolle bei der frühen Ausgestaltung dieser zukünftigen Weltreligion zugefallen – schließlich war Jesus auch ein Jude. Und mit der Christianisierung des römischen Reiches hätten sie dann ihr altes Territorium zurückerhalten. Doch mit ihrer Weigerung, diesen Mann anzuerkennen, haben sie sich bei den Christen sehr unbeliebt gemacht – von vielen werden sie deshalb heute noch gehasst.
Neid auf Gottes Lieblingsvolk
Ein Teil des Antisemitismus wurzelt übrigens auch im Neid. Immerhin sind die Juden Gottes Lieblingsvolk, auch wenn er sich später von ihnen abgewandt hat. Allerdings: Keinem anderen Volk hatte Jehova sich geoffenbart – vor allen anderen hielt er sich verborgen und vernichtete sogar einige.
Gott hielt die anderen Völker also noch nicht einmal theoretische für würdig, sein auserwähltes Volk zu sein. Das kann diese verschmähten Völker natürlich neidisch, eifersüchtig und auch rachsüchtig machen.
Die jüdischen Weltverschwörer
Verschwörungsideologen, Neonazis und verwandte Gruppierungen behaupten, Juden würden seit Jahrhunderten die gesamte Menschheit heimlich manipulieren und ausbeuten. Sie sollen das hinterlistigste, betrügerischste und raffinierteste Volk sein, das es auf diesem Planeten gibt.
Doch wenn die Juden so viel Macht, Einfluss und Geld besitzen, wieso sind sie dann so erfolglos bei allem, was sie tun? Warum sind sie keine Weltmacht? Warum gehört ihnen (75 Jahren nach der Neugründung) nicht schon längst das gesamte Gebiet um Israel herum?
Eine weltumspannende kriminelle Organisation der schlimmsten Sorte sollte auch fähig sein, ihre Interessen durchzusetzen. Wozu das ganze Geld, die kriminelle Energie, der Einfluss auf Politik und Wirtschaft, wenn man davon nicht profitiert?
Schlechtes Management und Einfältigkeit
Den Juden gelingt es seit Jahrzehnten nicht, einen eigenen stabilen Staat aufzubauen. In Israel herrscht seit Staatsgründung unausgesprochen eine Art des permanenten Ausnahmezustands. Juden in der ganzen Welt müssen es sich tagtäglich gefallen lassen, beleidigt, beschimpft, bedroht und auf offener Straße angegriffen zu werden.
Warum sollte eine Organisation, die das Böse personifiziert und seit Jahrhunderten im Verborgenen die Fäden in der ganzen Welt zieht, sich das gefallen lassen?
Das würde bedeuten: Juden sind zwar bösartig, hinterhältig und verlogen, gleichzeitig aber auch extrem unfähig. Sie lassen es zu, seit Jahrhunderten gegängelt zu werden, ertragen ein Pogrom nach dem anderen und lassen sich immer wieder demütigen. Richtig auf die Beine gestellt bekommen sie auch nichts. Nur im Geld-Scheffeln sind sie angeblich erfolgreich, können diesen Reichtum aber nicht nutzbringend für die Situation ihrer Leute in Israel und dem Rest der Welt einsetzen.
Eine künstliche Feindschaft
Beim Antisemitismus handelt es sich deshalb um eine künstliche Feindschaft mit einer zweckgebundenen Funktion. Sollten wir es irgendwann nicht mehr nötig haben, anderen Menschen, Volksgruppen oder sogar ganzen Völkern Machenschaften, Böswilligkeiten, Intrigen oder Betrügereien zu unterstellen, nur um unsere eigenen Fehler und Unfähigkeiten vor uns selbst besser verstecken zu können, brauchen wir auch keine Feindschaften mehr.
Dann wird der Antisemitismus verschwinden, denn alles Künstliche zerfällt, wenn es nicht aufrechterhalten wird.
Wenn Juden also etwas vorgeworfen wird, dann nicht etwas, das sie getan haben. Es wird ihnen einfach vorgeworfen, Juden zu sein – das ist schon ihr ganzes Verbrechen. Man hat sie zum Feindbild erklärt, weil man etwas zum Anfeinden braucht.
Es ist das Gleiche wie beim Rassismus: Menschen mit schwarzer Hautfarbe werden nicht deswegen gehasst, weil sie irgendetwas hassenswerte getan haben. Sie werden nur gehasst, weil manche Menschen etwas zum Hassen brauchen, um sich nicht selbst hassen zu müssen.