Archai­sche Gewohn­hei­ten able­gen


In einer Höhle steht eine aufgebrachte Menge, steinzeitlich gekleideter kleiner Menschen vor einem primitiven Altar. Darauf steht ein Skelett mit leuchtenden Augen, das an Fäden hängt.

Angst und Trau­ma­ti­sie­rung

Fast alles Elend in unse­rer Welt ist auf unse­re Abnei­gung gegen das Tei­len zurück­zu­füh­ren. Unse­re Angst, zu kurz zu kom­men, ani­miert uns zur Anhäu­fung von Vor­rä­ten, die wir eigent­lich gar nicht brau­chen.

Wir sind trau­ma­ti­siert und lei­den unter der stän­di­gen Angst, nicht genug zu haben. Das erin­nert an einen Hund, der gie­rig sein Fres­sen run­ter­schlingt, weil er befürch­tet, man könn­te es ihm wie­der weg­neh­men.

Wahr­schein­lich ist die­ser Trieb zur über­mä­ßi­gen Anhäu­fung von Vor­rä­ten (bzw. Reich­tum) ein Erbe unse­rer archai­schen Ver­gan­gen­heit, eine men­tal-gene­ti­sche Dis­po­si­ti­on, unter der die gesam­te Mensch­heit lei­det.

Kei­ne Not­wen­dig­keit mehr zur über­mä­ßi­gen Anhäu­fung

In der Stein­zeit und bestimmt auch noch im Mit­tel­al­ter war es sinn­voll, mehr Vor­rä­te als nötig zu besit­zen, denn wir wuss­ten nie, was das nächs­te Jahr bringt. Wir konn­ten auf die Bedürf­nis­se frem­der Men­schen sel­ten Rück­sicht neh­men, denn es war schon schwie­rig genug, die eige­nen zu befrie­di­gen.

Doch die­se Zei­ten sind vor­bei. Wir sind dem Will­kür­cha­rak­ter der Natur wei­test­ge­hend nicht mehr aus­ge­lie­fert wie noch im Mit­tel­al­ter, in der Stein­zeit oder in prä­his­to­ri­schen Zei­ten.

Wir kön­nen heu­te unse­re Umwelt gestal­ten und haben gro­ßen Ein­fluss auf unse­re Ern­te­er­trä­ge. Wir haben die Mög­lich­keit, den Über­fluss der einen Regi­on an ande­re mit Unter­ver­sor­gung wei­ter­zu­lei­ten. In kei­nem Land der Erde müss­ten heu­te noch Men­schen hun­gern oder im Elend leben, wäh­rend in ande­ren Tei­len Über­fluss und Ver­schwen­dung herr­schen. Ist so etwas der Fall, dann nur, weil wir es zulas­sen: Es küm­mert uns nicht.

Fau­le Aus­re­den und Gleich­gül­tig­keit

Die rei­chen Län­der könn­ten, ohne dar­un­ter zu lei­den, ihre Über­schüs­se an die armen wei­ter­lei­ten, denn die­se Lebens­mit­tel wer­den aus markt­po­li­ti­schen Grün­den sowie­so oft ver­nich­tet – was oben­drein auch noch Geld kos­tet.

Anstatt Geld zur Lebens­mit­tel­ver­nich­tung aus­zu­ge­ben, könn­ten wir es nut­zen, um unse­re über­flüs­si­gen Lebens­mit­tel dort­hin zu brin­gen, wo sie drin­gend gebraucht wer­den.

Doch das inter­es­siert uns nicht, denn damit lässt sich kein Geld ver­die­nen. Das wis­sen wir zwar auch, spre­chen es aber nicht aus. Statt­des­sen behaup­ten wir, das Ver­schen­ken von Lebens­mit­teln an arme Län­der wäre aus logis­ti­schen Grün­den nicht mög­lich oder wür­de an inter­na­tio­na­len Aus­fuhr­be­stim­mun­gen oder ähn­li­chen Hemm­nis­sen schei­tern.

Das ist natür­lich eine Aus­re­de, denn wenn uns wirk­lich etwas dar­an läge, dass die Men­schen in ande­ren Län­dern nicht hun­gern, fän­den wir auch Wege. Doch wir tun es nicht, weil uns die Mensch­heit als Gan­zes egal ist. Haupt­sa­che, wir haben alles, was wir brau­chen. Außer­dem mögen wir die Vor­stel­lung nicht, ande­re „durch­zu­füt­tern“.

Fahr­läs­sig­keit und Gleich­gül­tig­keit der ver­ant­wort­li­chen Mäch­te

Doch es kommt noch schlim­mer: Vie­le der Miss­stän­de in Län­dern der soge­nann­ten Drit­ten Welt sind direkt oder indi­rekt auf die Wirt­schafts­po­li­tik der west­li­chen Staa­ten und unser Kon­sum­ver­hal­ten zurück­zu­füh­ren. Auch das wis­sen wir mehr oder weni­ger alle.

Wir wis­sen nicht, wie die afri­ka­ni­schen Län­der sich ent­wi­ckelt hät­ten und heu­te aus­sä­hen, hät­ten die euro­päi­schen Staa­ten sie in ihrer Kolo­ni­al­zeit nicht aus­ge­plün­dert. Vie­le Mil­lio­nen der bes­ten und kräf­tigs­ten Arbei­ter wur­den ent­führt und als Skla­ven nach Ame­ri­ka ver­schifft. Zusätz­lich zwang man ihnen eine Reli­gi­on auf (das Chris­ten­tum), die ihrem men­ta­len Natu­rell wider­sprach. All das hat Afri­kas Ent­wick­lungs­weg ver­gif­tet und sich in sei­ne See­le ein­ge­brannt, wor­un­ter die­ser Kon­ti­nent heu­te immer noch lei­det.


Aus­beu­tung der Drit­ten Welt

Die west­li­chen, rei­chen Indus­trie­staa­ten toben sich seit Jahr­hun­der­ten auf dem Rücken der armen Län­der aus. Die­se müs­sen sich das gefal­len las­sen und kön­nen sich gegen die dreis­ten Über­grif­fe der trans­na­tio­na­len Kon­zer­ne nicht weh­ren, denn auch in Afri­ka gibt es genug kor­rup­te Beam­te, die sich bestechen las­sen.

Wir las­sen in den Dritt­welt­län­dern T‑Shirts, Hosen und ande­re Ver­brauchs­gü­ter pro­du­zie­ren, weil die Lohn­kos­ten dort so nied­rig sind, dass sie fast ohne Bedeu­tung sind. Wir wis­sen, dass die Arbei­ter und Arbei­te­rin­nen dort von ihren Hun­ger­löh­nen nicht leben kön­nen und die Arbeits­be­din­gun­gen men­schen­un­wür­dig sind. Doch wir tun so, als läge das nicht in unse­rer Ver­ant­wor­tung, als gin­ge es uns nichts an.

Die Situa­ti­on der Arbei­ter und Arbei­te­rin­nen in die­sen Staa­ten ist jedoch nur des­halb so kata­stro­phal, weil unser Kon­sum der dort her­ge­stell­ten Pro­duk­te die­ses Sys­tem der Aus­beu­tung mög­lich macht und auf­recht­erhält. Wür­den wir uns wei­gern, die­se Pro­duk­te zu kau­fen, wür­de die­ses Modell der moder­nen Skla­ve­rei nicht funk­tio­nie­ren. Dann hät­ten wir viel­leicht weni­ger Kla­mot­ten in unse­ren Schrän­ken – aber immer noch genug.

Aus­plün­de­rung und Aus­ver­kauf der Roh­stoff

Eini­ge unse­rer gro­ßen Kon­zer­ne und Unter­neh­men las­sen von der ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­rung in den Dritt­welt­län­dern wert­vol­le Roh­stof­fe wie Kobalt, Lithi­um oder Nickel abbau­en – aber auch Edel­me­tal­le und Edel­stei­ne. Obwohl die­se Län­der durch ihre Boden­schät­ze eigent­lich reich sein soll­ten, ist die Bevöl­ke­rung dort oft bit­ter­arm.

Natür­lich liegt das auch an den kor­rup­ten Regie­run­gen die­ser Län­der. Doch die Auto­bau­er, Batterie‑, Han­dy- und Com­pu­ter­her­stel­ler der Indus­trie­län­der arbei­ten Hand in Hand mit die­sen Regie­run­gen. Dabei sind sie nicht gezwun­gen, mit kor­rup­ten Eli­ten zusam­men­zu­ar­bei­ten, son­dern könn­ten Wege fin­den, die dafür sor­gen, dass die Arbei­ter anstän­dig bezahlt wer­den und auch die Län­der als Gan­zes von ihren Res­sour­cen pro­fi­tie­ren.

Doch dar­an besteht kein Inter­es­se, denn alles, wor­um es den Kon­zer­nen geht, ist, die Kos­ten für die­se wich­ti­gen Mate­ria­li­en so nied­rig wie mög­lich zu hal­ten.

Man­gel­haf­te Zivil­cou­ra­ge

Als Kon­su­men­ten könn­ten wir auf die Stra­ße gehen, dage­gen pro­tes­tie­ren und durch Kon­sum­ver­wei­ge­rung die Kon­zer­ne dazu zwin­gen, ihr Ver­hal­ten zu ändern. Doch wir wis­sen auch, dass unse­re High­tech-Spiel­zeu­ge dann teu­rer wür­den – und genau des­halb ist es uns egal.

Und wenn unse­re Com­pu­ter und Han­dys dann kaputt sind oder nicht mehr dem Stan­dard ent­spre­chen, schi­cken wir unse­ren gif­ti­gen Elek­tro­schrott in die­se Län­der zurück. Dort ver­gif­tet er nicht nur die Umwelt, son­dern auch die Men­schen, die ihn unter kata­stro­pha­len Bedin­gun­gen recy­celn müs­sen.

Gleich­gül­tig­keit und Geschäfts­tüch­tig­keit

Ein wei­te­res augen­fäl­li­ges Merk­mal unse­rer man­geln­den Empa­thie sind unse­re Waf­fen­ex­por­te an des­po­ti­sche Regie­run­gen. Wir wis­sen, dass mit die­sen Waf­fen die Bevöl­ke­rung bru­tal unter­drückt wird.

Doch unse­re ver­ant­wort­li­chen Regie­rungs­mit­glie­der, die die­se Expor­te geneh­mi­gen, haben hier­für eine zyni­sche Aus­re­de parat: Es kön­ne nicht bewie­sen wer­den, dass mit die­sen Waf­fen die Bevöl­ke­rung unter­drückt wer­de. Die des­po­ti­schen Regie­run­gen wür­den dafür ande­re Waf­fen benut­zen. Ein Stopp der Waf­fen­lie­fe­run­gen wür­de an der Situa­ti­on der Bevöl­ke­rung nichts ändern, heißt es. Die­se Argu­men­ta­ti­on zeigt, dass uns die Men­schen in ande­ren Län­dern völ­lig egal sind, solan­ge die Geschäf­te gut lau­fen.

Unser man­gel­haf­tes, ja oft völ­lig feh­len­des Inter­es­se an der Situa­ti­on ande­rer ist größ­ten­teils für all die­se Miss­stän­de ver­ant­wort­lich. Das Leben frem­der Men­schen „inter­es­siert“ uns nur dann, wenn wir davon pro­fi­tie­ren.

Heu­che­lei und Vor­teils­si­che­rung

Unser Inter­es­se für die Belan­ge ande­rer ist meis­tens vor­ge­täuscht und dient zur per­sön­li­chen Vor­teils­si­che­rung. Wir benut­zen ande­re Men­schen und deren Situa­tio­nen für unse­re eige­nen ego­is­ti­schen Zie­le und sind dabei sehr geschickt dar­in, die­se Tat­sa­che zu ver­schlei­ern.

Wir gau­keln Anteil­nah­me vor – in Wirk­lich­keit ist es Geschäfts­tüch­tig­keit. Das ist die Stra­te­gie, mit der wir seit Jahr­tau­sen­den erfolg­reich sind. Doch, wie bereits erwähnt, wird sie nicht geeig­net sein, die Welt des 3. Jahr­tau­sends zu gestal­ten.

Noch sind wir gewohn­heits­mä­ßig davon über­zeugt, dass wir – als Ein­zel­ne und als Natio­nen – nur im erbar­mungs­lo­sen Kon­kur­renz­kampf eine Chan­ce haben. Die­ser Glau­be lebt von der Gier und der Angst, über­vor­teilt zu wer­den, von der Angst, zu kurz zu kom­men.

Wir wol­len Freund­schaft, ohne dabei unse­ren per­sön­li­chen Vor­teil aufs Spiel zu set­zen. Unse­re Freund­schaf­ten, beson­ders die inter­na­tio­na­len, sind Part­ner­schaf­ten, Alli­an­zen oder Föde­ra­tio­nen, die von gemein­sa­men Inter­es­sen am Leben gehal­ten wer­den. Ver­schwin­den die­se, ver­schwin­det auch die Freund­schaft.


Fazit:

Die west­li­chen Län­der haben durch kolo­nia­le Raub­zü­ge einen Wohl­stand auf­ge­baut, der bis heu­te anhält. Doch wir sehen uns nicht in der Ver­ant­wor­tung, etwas zurück­zu­ge­ben. Schuld­ge­füh­le? Fehl­an­zei­ge. Und unse­re Poli­ti­ker scheu­en sich, das The­ma offen anzu­spre­chen – aus Angst, Wäh­ler­stim­men zu ver­lie­ren.

Es ist beque­mer, die Armut in Afri­ka als selbst­ver­schul­det dar­zu­stel­len. Dabei igno­rie­ren wir, dass vie­le Kon­flik­te und die Miss­wirt­schaft dort direk­te Fol­gen der Kolo­ni­al­zeit sind.

Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen ver­mit­teln uns das Gefühl, etwas zu tun. Doch häu­fig fehlt ihnen die Fähig­keit, lang­fris­ti­ge Lösun­gen zu schaf­fen. Manch­mal zemen­tie­ren sie sogar unge­wollt die bestehen­den Struk­tu­ren.

Die west­li­chen Indus­trie­na­tio­nen könn­ten tat­säch­lich etwas ver­än­dern – durch gerech­te Han­dels­ab­kom­men, Bil­dungs­hil­fen oder Tech­no­lo­gie­trans­fer. Doch sol­che Maß­nah­men erfol­gen nur in homöo­pa­thi­schen Dosen, weil es nicht im Inter­es­se der Mäch­ti­gen liegt, die­se Län­der wirk­lich unab­hän­gig und stark zu machen.

Die Medi­en prei­sen die Groß­zü­gig­keit der rei­chen Natio­nen. Doch oft ver­fol­gen die­se nur ihre eige­nen Inter­es­sen. Ent­wick­lungs­hil­fe wird nicht sel­ten in Form von Kre­di­ten gewährt, die die Emp­fän­ger in Abhän­gig­keit hal­ten. Groß­zü­gig­keit ent­puppt sich als Geschäfts­mo­dell.

Spen­den­auf­ru­fe set­zen auf emo­tio­na­le Insze­nie­run­gen. Sie zei­gen Bil­der ver­hun­gern­der Kin­der, die Betrof­fen­heit wecken – aber sel­ten ein Ver­ständ­nis für die wah­ren Ursa­chen der Pro­ble­me.

Wir geben vor, Anteil­nah­me zu zei­gen, doch oft ist es bloß Geschäfts­tüch­tig­keit. Selbst bei Natur­ka­ta­stro­phen wird Hil­fe so insze­niert, dass sie Vor­tei­le für die Geber­län­der bringt. Unse­re ver­meint­li­che Groß­zü­gig­keit ist eine Mas­ke­ra­de, hin­ter der sich knall­har­te Inter­es­sen ver­ber­gen.

Solan­ge wir unse­re Prio­ri­tä­ten nicht über­den­ken, wird sich nichts ändern. Armut und Unge­rech­tig­keit ver­schwin­den nicht von allein, wäh­rend wir an über­hol­ten Ver­hal­tens­mus­tern fest­hal­ten. Der Wan­del beginnt nicht bei poli­ti­schen Maß­nah­men, son­dern bei einem Bewusst­seins­wan­del in jedem Ein­zel­nen von uns.

Wir sind eine Mensch­heit, und die­se Ein­sicht soll­te unser Han­deln bestim­men. Die Kluft zwi­schen Arm und Reich ist kei­ne Natur­ge­ge­ben­heit, son­dern ein Ergeb­nis unse­rer Igno­ranz und Bequem­lich­keit.

Es ist an der Zeit, die Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men und auf­zu­hö­ren, uns hin­ter Aus­re­den zu ver­ste­cken. Wenn wir wirk­lich wol­len, dass alle Men­schen auf die­sem Pla­ne­ten ein wür­de­vol­les Leben füh­ren kön­nen, liegt es in unse­rer Macht, das zu ermög­li­chen.


HYBIS DER IDEO­LO­GIEN UND RELI­GIO­NEN


Schreibe einen Kommentar