Das Nichts kann kein Etwas sein
Es ist nicht möglich, über das Nichts nachzudenken, ohne es zu einem Etwas zu machen.
Das heißt, es ist gar nicht möglich, über das Nichts nachzudenken. Tun wir es trotzdem, beschäftigen wir uns lediglich mit unserer Vorstellung, die wir vom Nichts haben. Wir beschäftigen uns dann nur mit einer Assoziation, einer Art Ersatznichts.
Wir wissen nicht, ob es tatsächlich irgendwo in irgendeiner unbekannten “Dimensionssphäre” etwas gibt, das dem entspricht, was wir meinen, wenn wir vom Nichts reden. Wenn es mehr als eine intellektuelle Spielerei ist, handelt es sich vielleicht um ein (noch) unbekanntes Prinzip des Existierens, das in unserer kausalen Welt, die aus Polaritäten und Dualismen besteht, nicht mit Assoziation beschrieben werden kann. Wir brauchen andere “Werkzeuge”.
Doch solange wir nicht über Raumschiffe verfügen, mit denen wir das Universum in Echtzeit durchqueren können, um beispielweise den “Rand” des Universums erforschen zu können (denn wer weiß, vielleicht tun sich dort neue Aspekte auf), werden solche Gedanken nur Ideen und Spekulationen bleiben. Einen echten, wirklich erfolgversprechenden Ansatz zur Nichts-Forschung wird es also erst in absolut ferner Zukunft geben.
Schwarze Löcher verraten sich durch die von ihnen erzeugte Raumverzerrung. Das Nichts besitzt solche Schattenwurfeigenschaften wesensbedingt nicht.
Ich kanns mir vorstellen, also gibts das auch irgendwo
Das Nichts hat seinen Ursprung vielleicht in folgender Assoziation: Da es ein Etwas gibt (die Existenz, das Universum), muss oder könnte es auch das Gegenteil oder einen Gegenpol dazu geben.
Als “Motivator” an diese Möglichkeit zu glauben eignet sich die Theorie vom Teilchen-Antiteilchen Konzept aus der Physik sehr gut: Alle Elementarteilchen besitzen ihr persönliches Antiteilchen, einen Gegenpol — warum das Prinzip des Existierens dann nicht auch?
Doch in Anbetracht der Tatsache, dass wir noch nicht einmal wirklich wissen, was ein Etwas ist — also Materie, Raum, Zeit, Energie, aber auch Gedanken, Bewusstsein und Wahrnehmung — ist es ziemlich gewagt zu glauben, wissen zu können, was ein Nichts sein könnte.
Die Wahrnehmung des Nichts
Um etwas mit Worten beschreiben zu können, die mehr sind als theoretische und logische Überlegungen, müssen wir es auf irgendeine Art wahrnehmen. Und da auch das Nichts etwas ist (etwas über das wir nachdenken, uns unterhalten etc.) — selbst wenn sein Existenzcharakter tatsächlich nur ein fiktiver ist — müssten wir es ebenfalls mit irgendwelchen Sinnen wahrnehmen können. Doch alles, was uns möglich ist, sind theoretische Überlegungen. Diese werden immer unvollständig bleiben, weil wir keine Möglichkeiten haben, sie zu verifizieren oder sonst wie abzugleichen. Die Philosophie vom Nichts ist wie eine Theorie über eine Theorie. Wenn wir also über das Nichts philosophieren, nachdenken und als Phänomen behandeln, sollte uns klar sein, dass diese Vorgehensweisen eigentlich ungeeignet ist:
Egal was auch immer wir tun und welche Systeme, Philosophien, Dialektiken, Ideologien, Glaubensrichtungen, Denkweisen oder Methoden wir benutzen, um das Wesen des Nichts auszuleuchten: Wenn diese Methoden auch bei der Ergründung eines ETWAS funktionieren, taugen sie zur Erfassung des Nichts nichts.
Tatsache ist: Alle Methoden, die uns zur Verfügung stehen, wurden von “Etwas-Wesen” in einer „Etwas-Welt“ entwickelt. Wenn wir glauben, sie auf etwas anwenden zu können, das kein Etwas ist, haben wir nicht verstanden, worum es bei der Nichtsforschung geht.
Die Null-Dimension
Wenn wir uns mit dem Nichts beschäftigen, vergessen wir also, dass es sich dabei um ein von uns erdachtes oder postuliertes Phänomen handelt. Denn wir reden nicht deswegen davon, weil wir es gesehen oder sonst wie erfahren haben, sondern weil wir fähig sind, es uns vorzustellen und anschließend mit logische Überlegungen plausibel zu machen.
Um das Nichts besser verstehen zu können, hilft es vielleicht, wenn wir es zu einer Dimension erklären: Denken wir uns, zu den drei bekannten räumlichen Dimensionen, zwei weitere hinzu, haben wir folgende Hierarchie:
- 0. Dimension: Nichts — kein Punkt
- 1. Dimension: unendlich kleiner Punkt — ein Punkt
- 2. Dimension: unendlich dünne Linie (erste Dimension des Standardmodells) — zwei (Eck-)Punkte
- 3. Dimension: unendlich dünne Fläche (zweite Dimension des Standardmodells) — drei oder mehr (Eck-)Punkte
- 4. Dimension: 3‑dimensionaler Raum, Würfel, Pyramide etc. (dritte Dimension des Standardmodells) — vier oder mehr (Eck-)Punkte
Eine Zeitdimension (normalerweise unsere 4., hier wäre sie die 5.) fällt in diesem Modell weg, da nicht eindeutig geklärt werden kann, an welcher Stelle sie in der Rangfolge einzufügen wäre. Denn wenn wir uns beispielsweise eine Flächenwelt (Flatland) vorstellen können, dann nur, weil es auch in ihr, wie im 3‑dimensionalen Raum, einen zeitlichen Ablauf der Geschehnisse gibt. Die Zeitdimension muss also (oder kann?) keine sein, die erste später hinzukommt. Doch wo genau sie einzufügen wäre, ließe sich ohne weitere Untersuchungen nicht sagen. Deshalb gibt es in diesem Modell auch keine — nötig wäre sie ohnehin nicht. Auch ist bis heute nicht geklärt, ob das, was wir als Zeit wahrnehmen, überhaupt eine Dimension ist.
Bereits die 1. Dimension (der unendlich kleine Punkt) käme als Kandidat für das Nichts in Betracht, denn etwas »unendlich Kleines« ist genauso wenig vorstellbar wie ein »unendlich Großes« oder das »Nichts«. Trotzdem ist ein unendlich kleiner Punkt mehr, als kein Punkt.
Im erweiterten Dimensionenmodell entspricht das Nichts also der Null-Dimension. Das hilft uns zwar auch nicht weiter, das Wesen des Nichts besser zu verstehen, durch die Einordnung in das Dimensionenmodell, das hierarchisch aufgebaut ist, bekommen wir jedoch einen veranschaulichten Ansatz für dieses unmögliche Unterfangen. Mehr ist nicht möglich.
Die frei assoziierten Kategorien des Nichts

Das Nichts ist die idealisierte Negation von Raum, Zeit, Materie, Energie etc. Es ist die Abwesenheit von ALLEM, also auch die Abwesenheit von leerem Raum, denn dieser ist ja etwas: eine Region der Ausdehnung ohne Substanz. Wir können dem Nichts keine Werte oder Eigenschaften zuordnen. Tun wir es doch, ist es kein Nichts mehr. Vier verschiedene Arten des Nichts sind mir zurzeit bekannt.
Leere: das scheinbare Nichts
Manchmal wird das Vakuum als Nichts bezeichnen. Wissenschaftler sprechen vom physikalischen Nichts. Pragmatisch betrachtet ist das Vakuum jedoch kein Nichts. Man kann es als “räumliche Ausdehnung ohne Substanz” bezeichnen, Materie hingegen als “räumliche Ausdehnung mit Substanz”. Beide Ausdehnungsarten sind ein Etwas. Das Nichts des Vakuums ist also nur eine Art der optischen Täuschung.
Da wir gewohnt sind, unter einem Etwas immer etwas Anfassbares (also Objekte) zu verstehen, kommt uns das Vakuum wie ein Nichts vor. Doch obwohl das Vakuum keine Substanz besitzt, besteht es nicht aus nichts, denn wir können es wahrnehmen. Wir können es “sehen” denn es besitzt bestimmte Dimensionen (Höhe, Breite, Tiefe). Dieser leere Raum, der nichts anderes enthält als sich selbst, ist etwas: Ausdehnung. Das Vakuum als Nichts zu verstehen, ist demnach ein Trugschluss.
Nicht-da-sein: das Abwesenheits-Nichts
Das Abwesenheits-Nichts ist sozusagen die »Alltagsform« eines Nichts, wie wir es alle kennen: Ein Gegenstand ist verschwunden, er ist nicht dort, wo er eigentlich hätte sein sollen. Dort, wo etwas sein sollte, ist nichts (außer der leere bzw. luftgefüllte Raum). Wir erleben dieses Nichts im Alltag ganz real, es besitzt feste Stellenwerte in unseren Leben. Existent sind die Dinge für uns nur dann, wenn wir über sie verfügen können oder wir in einer Beziehung zu ihnen stehen.
Dass es Gegenstände oder auch Menschen plötzlich nicht mehr gibt (sie verschwunden sind), ist normal für uns. Wir können davon profitieren, wenn etwas nicht mehr existiert (beispielsweise Schulden). Wenn unser Auto plötzlich weg ist (für uns also nicht mehr existiert), haben wir einen Verlust. Das Abwesenheits-Nichts besitzt also einen weltlichen Charakter, und wir betrachten es — wenn überhaupt – nur selten unter philosophischen Gesichtspunkten. Es ist banal.
Das Ideal: das assoziative Nichts
Das assoziative Nichts ist das Nichts, von dem meistens die Rede ist, wenn über das Nichts philosophiert wird. Es hat einen hypothetischen, spekulativen Charakter und ist stark abhängig von der Person, die sich mit ihm beschäftigt. Die Existenz des assoziativen Nichts steht und fällt also mit der Aufmerksamkeit, die wir ihm schenken. Obwohl das Nichts nichts ist, assoziieren oder imaginieren wir es trotzdem, obwohl uns das nur nebelhaft gelingt. Mit dieser Imagination verleihen wir dem Nichts eine Art Status: Wir machen es (unsere eigentlich fiktive Assoziation) zu einem Phänomen, und dadurch zu einem Etwas.
Nur weil wir fähig sind, uns etwas vorzustellen, muss das Ergebnis unserer Vorstellung nicht auch Sinn ergeben. Davon gehen wir jedoch aus: „Ich kann es mit vorstellen, also muss auch etwas dran sein“, denken wir.
Die Nichtexistenz: das reale Nichts
Das reale Nichts ist das wahre Nichts. Nicht-Existenz ist ein besserer Ausdruck dafür. Im Gegensatz zum Abwesenheits-Nichts, das mit einem potenziell realen Etwas interagiert (indem es anzeigt, dass etwas weg ist, das auch da sein könnte), hat die Nicht-Existenz keinerlei Beziehung zu irgendetwas. Während dem assoziativen Nichts theoretisch noch ein gewisser Energiewert zugeschrieben werden kann (beispielsweise negative Energie), ist das reale Nichts vollkommen energielos. Es kann nicht assoziiert werden, es kann nicht in Relation zu irgendetwas gesetzt werden. Deswegen gibt es nichts, was man über das reale Nichts, die reine Nicht-Existenz, sagen kann.
Das Spiel mit dem Nichts
Das reale Nichts kann seine Existenz nur in der Nicht-Existenz haben.
Das Nichts kann nur dann wahrhaftes Nichts sein, wenn es nichts ist. Das heißt: Damit das Nichts existieren kann, darf es nicht existieren. Das ergibt jedoch keinen Sinn, und so erkennen wir unser Philosophieren über das Nichts als das, was es von Beginn an ist: eine intellektuelle Spielerei.
Andernfalls wäre das Nichts eine andere Art des Daseins, eine uns völlig fremdartige Existenz- oder Energieform, die es noch zu entdecken gäbe (beispielsweise außerhalb des Universums). Doch dadurch wäre es kein wirkliches Nichts. Deswegen ist das (existierende) Nichts ein Widerspruch in sich selbst.
Eigentlich ist die Beschäftigung mit dem Nichts ausgesprochen müßig. Es gibt Tausende Bücher, die sich mit dem Nichts befassen und bei allen ist das Ergebnis wahrscheinlich das gleiche: Nichts! Doch die Idee, das intellektuelle Konzept vom Nichts, fasziniert uns offenbar. Deswegen haben wir es erdacht.
Wir wissen, dass es ein Etwas (das Universum) gibt, also assoziieren wir uns das Gegenstück, weil wir es können. Wir sind fähig, Sätze zu bilden, die keinen Sinn ergeben und wir sind fähig, uns Dinge auszudenken, die es nicht gibt oder keinen Sinn haben. Wir können uns das Nichts denken, also tun wir es auch. Nur aus diesem Grund gibt es das Nichts für uns.
Die polare Logik unseres Denkens
Vielleicht ist auch unsere Neigung, in Polaritäten zu denken, dafür verantwortlich, dass wir uns genötigt fühlen, das Nichts zu assoziieren: Wir können uns das eine nicht ohne sein Gegenteil vorstellen.
Von Helligkeit können wir nur sprechen, weil es auch Dunkelheit gibt, von Wärme nur, weil es Kälte gibt, von Bewusstsein nur, weil es Unbewusstsein gibt usw. Und auf dieser Logik gründet auch unsere Annahme, dass es das Nichts geben muss. „Es gibt ein Etwas, also muss es auch sein Gegenstück geben“, ist unser Gedanke. Doch dabei übersehen wir Folgendes:
Dunkelheit und Helligkeit sind nicht wirklich zwei sich ergänzende, polare Größen oder Werte, die sich gegenüberstehen, denn Dunkelheit besitzt keinen Energiewert — auch keinen negativen. Es gibt eigentlich keine »Dunkelheit«, sondern nur die Abwesenheit von Licht. Diese Abwesenheit nennen wir Dunkelheit. Wenn es nicht so wäre, müsste folgendes Experiment möglich sein:
In einem Raum, indem es weder Dunkelheit noch Helligkeit gibt, müssten wir Helligkeit oder Dunkelheit erzeugen können. Doch das ist nicht möglich, denn schon diesen speziellen Raum gibt es nicht.
Polarität und Scheinpolarität
Das Gleiche gilt für viele andere Polaritäten: Kälte ist nur die Abwesenheit von Wärme, Unbewusstsein die Abwesenheit von Bewusstsein. Dunkelheit, Kälte und Unbewusstsein können nicht erzeugt werden, indem beispielsweise Energie hinzugefügt wird. Dunkelheit, Kälte und Unbewusstsein bleiben zurück, wenn Licht, Wärme und Bewusstsein entfernt werden. Leere (ein leeres Gefäß) bleibt zurück, wenn wir den Inhalt des Gefäßes entfernen. Andersherum geht es nicht: Wir können keine Leere hineintun oder entfernen, denn wir können nicht mit einem Nichts hantieren, sondern stets nur mit einem Etwas.
Wir können kein Nichts irgendwo hintun, und damit ein Etwas verdrängen. Deswegen ist es auch nicht möglich, mit einem Etwas ein Nichts zu verdrängen. Wir können nur ein Etwas durch an anderes Etwas ersetzen.
Wir können Kälte, Dunkelheit oder Unbewusstsein nicht hinzutun, und haben anschließend dann mehr davon. Wenn man “ein Nichts” zu einem Etwas hinzutut, ist das Etwas anschließend nicht kleiner. Tausend plus null ergeben immer noch Tausend. All das sind vielleicht müßige Gedanken, die jedoch Spaß machen können. Denn alles, was wir uns vorstellen und ausdenken können, macht Spaß, wenn es interessant ist.
Diese Analogien zeigen auf, dass das Nichts eigentlich gar kein wirkliches Nichts ist. Irgendjemand hat einmal sinngemäß gesagt: “Alles was wir uns vorstellen können, gibt es irgendwo und irgendwann auch.” Doch bei dieser Aussage handelt es sich nur um einen Satz, den wir schnell aussprechen, ohne ihn je verifizieren zu können.
Alle Theorien über das Nichts werden immer Gedankenspiele bleiben. Und so verhält es sich auch mit dem, was ich hier über das Nichts schreibe: Nur ein Spiel.
Das Nichts existiert dort wo Nichts ist und wo der Mensch oder wer auch immer nicht hindenkt.