Dena­tio­na­li­sie­rung


Der Planet Erde, umgeben von vielen Gesichtern und jubelnde Menschen aller Nationen.

Eine zukünf­ti­ge Welt ohne Natio­nen

Eine wich­ti­ge Vor­aus­set­zung für eine freund­li­che­re zukünf­ti­ge Welt ist die Auf­lö­sung oder Auf­wei­chung der natio­na­len Iden­ti­tät und die gleich­zei­ti­ge Her­aus­bil­dung einer glo­ba­len, man könn­te auch sagen »irdi­schen«. Wir müs­sen ler­nen, uns als »Ter­ra­ner« zu ver­ste­hen, denn natio­na­le Ego­zen­trik ist genau­so schäd­lich wie indi­vi­du­el­le. Die­sen Pro­zess kön­nen wir als Dena­tio­na­li­sie­rung bezeich­nen. Er wird ein­ge­lei­tet durch die Eman­zi­pa­ti­on der Indi­vi­dua­li­tät.

Die Eman­zi­pa­ti­on der Indi­vi­dua­li­tät

Indi­vi­dua­li­tät wird fälsch­li­cher­wei­se oft mit Ego­is­mus gleich­ge­setzt, der über­stei­ger­ten Fixie­rung des Ich-Bewusst­seins.

Wir sind zwar alle Indi­vi­du­en, doch man hat uns gelehrt, uns selbst nicht wich­tig zu neh­men. „Du bist nichts, dein Land ist alles“, ist ein Spruch, der beson­ders in stark natio­nal gepräg­ten Län­dern den Kin­dern ger­ne bei­gebracht wird. Glau­ben wir das, hin­dern wir uns dar­an, selbst­be­stimm­te, selbst­be­wuss­te und eigen­ver­ant­wort­li­che Men­schen zu wer­den.

Doch auch der Begriff »Eman­zi­pa­ti­on« wird oft fälsch­lich ver­stan­den oder inter­pre­tiert, häu­fig sogar mut­wil­lig. Heut­zu­ta­ge wen­den wir die­sen Aus­druck über­wie­gend auf die „Frau­en­be­frei­ungs­be­we­gung“ an. Von Män­nern wird er oft in dis­kri­mi­nie­ren­der Wei­se benutzt, um Frau­en, die ein selbst­be­stimm­tes Leben füh­ren wol­len, lächer­lich zu machen.

Eman­zi­pa­ti­on bedeu­tet nichts ande­res als »Selbst­be­frei­ung« oder »Mün­dig­wer­dung«. Und nichts braucht die Welt drin­gen­der, als mün­di­ge Bür­ger, denn die­se sind die Vor­aus­set­zung für eine fried­li­che­re und freie Welt.

Die Inter­na­tio­na­li­sie­rung der natio­na­len Beson­der­hei­ten

Wei­chen wir unse­re natio­na­le Iden­ti­tät zuguns­ten unse­rer per­sön­li­chen auf, hören wir natür­lich nicht auf, Mexi­ka­ner, Bel­gi­er oder Tür­ke zu sein – das geht inner­halb weni­ger Gene­ra­tio­nen sowie­so nicht. Unse­re zufäl­li­ge natio­na­le Zuge­hö­rig­keit darf unse­re ein­ma­li­ge indi­vi­du­el­le Iden­ti­tät aber nicht über­de­cken bezie­hungs­wei­se kor­rum­pie­ren. Sie darf uns nicht ver­ges­sen las­sen, dass wir in ers­ter Linie Men­schen sind – und nur in zwei­ter Linie Deut­sche, Afri­ka­ner oder Chi­ne­sen.

Des­we­gen ist die Indi­vi­dua­li­sie­rung ein nöti­ger Pro­zess, der der Dena­tio­na­li­sie­rung vor­an­geht.

Ver­ste­hen wir uns nicht mehr als Juden, Fran­zo­sen, Inu­it oder Bra­si­lia­ner, son­dern als Men­schen, die gemein­sam die­sen Pla­ne­ten bewoh­nen, wird es uns leich­ter fal­len, die soge­nann­ten »Frem­den« als gleich­wer­tig zu erken­nen.

Die »Eman­zi­pa­ti­on der Indi­vi­dua­li­tät« bedeu­tet, sich nicht mehr als iso­lier­tes Wesen zu ver­ste­hen, das sich im Kon­kur­renz­kampf behaup­ten muss und sich immer dann mit ande­ren zusam­men­schließt, wenn es sich einen Vor­teil davon ver­spricht.

Wenn wir uns als Indi­vi­du­en eman­zi­pie­ren, hören wir ein­fach auf, Her­den­men­schen zu sein. Wir sind zwar nach wie vor in der Gesell­schaft sozi­al ein­ge­bun­den und auch wert­voll, jetzt aber aus einem ande­ren Grund: Als Her­den­mensch oder auch Mit­läu­fer geht es uns haupt­säch­lich um das Über­le­ben. Wir pas­sen uns der kul­tu­rel­len und poli­ti­schen Haupt­strö­mung in einer Gesell­schaft instink­tiv an. Des­we­gen wer­den wir gebraucht und unse­re Exis­tenz besitzt Legi­ti­mi­tät.

Als eman­zi­pier­te Indi­vi­du­en haben wir hin­ge­gen ver­stan­den, dass es in einer offe­nen und frei­en Gesell­schaft um sol­che Sachen wie »Über­le­ben« oder »Sicher­heit« nicht geht (bei­des betrach­ten wir als gege­ben). Obwohl wir Indi­vi­du­en sind und uns oft auch ego­is­tisch ver­hal­ten, wird unser Den­ken, Han­deln und Füh­len nicht von einer kurz­sich­ti­gen Lebens­phi­lo­so­phie geprägt. Wir emp­fin­den unse­re Indi­vi­dua­li­tät und Ein­zig­ar­tig­keit nicht mehr als Abgren­zung, son­dern als Ergän­zung und Aus­druck der Viel­fäl­tig­keit des glo­ba­len Lebens.

Die wirk­li­che Erwach­sen­wer­dung

Wol­len wir unse­re Indi­vi­dua­li­tät eman­zi­pie­ren, müs­sen wir noch einen zusätz­li­chen Aspekt berück­sich­ti­gen, von dem nur sehr weni­ge Men­schen wis­sen: Als Erwach­se­ne haben wir in der Regel kein wirk­li­ches Erwach­se­nen­be­wusst­sein!

Meis­tens hat unser Bewusst­sein als Erwach­se­ne noch stark infan­ti­le, unaus­ge­reif­te Züge. Oft sind wir bloß Jugend­li­che in einem Erwach­se­nen­kör­per, die von den Mög­lich­kei­ten berauscht sind, die man als erwach­se­ner Mensch hat: Wir toben uns ledig­lich aus und holen all das nach, was uns in unse­rer Jugend und Kind­heit ver­wehrt war.

Ein wirk­li­ches Erwach­se­nen­be­wusst­sein zu haben heißt jedoch zu wis­sen, dass vie­les, wenn nicht sogar alles, was wir in unse­rer Jugend und Kind­heit gelernt und geglaubt haben, unreif oder sogar falsch ist.

Wir glau­ben zwar, die Unrei­fe unse­rer Jugend und Kind­heit hin­ter uns zu haben, doch das ist nur zum Teil so: Das Vor­ur­teils­den­ken und die ideo­lo­gi­schen und reli­giö­sen Kon­di­tio­nie­run­gen, die wir von unse­ren Eltern und Leh­rern über­nom­men haben, legen wir auch nach Been­di­gung unse­rer Jugend nur sel­ten voll­stän­dig ab. Oft geschieht sogar das Gegen­teil: Wir ver­in­ner­li­chen die­ses kon­di­tio­nier­te Den­ken und Füh­len in spä­te­ren Jah­ren noch.

Unser indi­vi­du­el­ler Rei­fungs­pro­zess darf daher nicht mit dem Ein­tritt in die Voll­jäh­rig­keit enden – was lei­der viel zu oft der Fall ist. Ein ech­tes Erwach­se­nen­be­wusst­sein weiß: Der indi­vi­du­el­le Ent­wick­lungs­pro­zess endet nie­mals – selbst im hohen Alter nicht.

Die kol­lek­ti­ve Schein­in­di­vi­dua­li­tät trans­for­mie­ren

Unse­re der­zei­ti­ge Indi­vi­dua­li­tät ist meis­tens nur eine kol­lek­ti­ve, eine Pau­schal- oder Schein­in­di­vi­dua­li­tät. Denn ein wirk­li­ches Indi­vi­du­um wird sich nicht als Inder, Por­tu­gie­se oder Aus­tra­li­er emp­fin­den, son­dern als Mensch, der zufäl­lig in der Regi­on gebo­ren wur­de, die wir Indi­en, Por­tu­gal oder Aus­tra­li­en nen­nen, zwangs­läu­fig die dor­ti­ge Lan­des­spra­che spricht und zwangs­läu­fig an die Kul­tur die­ser Regi­on (nur) gewöhnt ist.

Ein sol­cher Mensch weiß von der Belie­big­keit der eige­nen Spra­che und Kul­tur, die kei­ne tie­fe­re oder wah­re­re Natur besitzt als ande­re. Er defi­niert sich nicht als Rus­se, Nige­ria­ner oder Ita­lie­ner, son­dern als Mensch, der mit ande­ren Men­schen gemein­sam auf die­sem Pla­ne­ten lebt und die Auf­ga­be hat, das zu erken­nen. Nur dann wird die Mensch­heit eine gute Zukunft haben.


MEHR FRIED­LICH­KEITWENI­GER TRA­DI­TIO­NEN


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