Weniger Sturheit im Denken
Ein Umstand, der uns das unabhängig Denken erschwert, ist unsere verkrampfte Haltung zum Leben selbst. Um ein neues, offenes Denken zu entwickeln, ist daher eine lockere Einstellung zum Leben, zu uns selbst und allem, was uns wichtig ist, eine zwingende Voraussetzung.
Inhalt
Wir müssen dringend lernen, unser Denken nur als Ausdruck einer momentanen Wahrnehmung oder auch Laune zu verstehen. Wir sollten es weniger ernst nehmen.
Dass die Gedanken anderer Menschen potenziell fehlerhaft sind, bereitet uns keine Kopfschmerzen, doch bei der Beurteilung unseren eigenen leiden wir unter der sogenannten Betriebsblindheit. Doch es wäre klug, uns zu fragen: „Warum sollte ausgerechnet mein Denken ohne Fehler sein? Bin ich denn etwas Besonderes?“
Wir sind nichts Besonderes
Vielleicht halten wir uns dafür, doch wenn wir ehrlich sind, müssen wir diese Frage verneinen. Zu dieser einfachen und entspannenden Beziehung zu unseren eigenen intellektuellen Fähigkeiten sind wir leider nur selten fähig. Um uns weiterentwickeln zu können, sollten wir es jedoch sein, denn Weiterentwicklung ist alles, worum es im Leben geht.
Wenn wir verstehen, dass unser Denken nicht zwangsläufig richtig ist, nur weil es unseres ist, haben wir eine wichtige Hürde genommen. Mit dieser Einstellung können wir unser Denken als Phänomen verstehen und lernen, es nüchtern und neutral wahrzunehmen und zu bewerten. Wir können uns dann ehrlich fragen: „Welche Gedanken und Meinungen habe ich selbst entwickelt und welche von anderen übernommen?“
Konditioniertes Denken erkennen
In unserer Kindheit glaubten wir fast alle an Dinge, die nicht existieren – beispielsweise den Weihnachtsmann (zumindest kurzfristig). Er ist eine erfundene Figur, die Kinder zum Gehorsam anregen soll. Das wussten wir damals natürlich nicht und deshalb haben wir diesen Glauben auch nicht angezweifelt.
Stellen wir uns nun vor, dass so etwas immer noch möglich ist und wir als Erwachsene an etwas glauben, das es gar nicht gibt. Mit etwas Mut und Fantasie gelingt uns das.
Anschließend bringen wir die Kraft und den Willen auf, ernsthaft nach überflüssigen und fremdbestimmten mentalen Konditionierungen zu suchen. Wir müssen daran interessiert sein und mit uns selbst ins Gericht gehen.
Das ist schwer und Energie raubend, da wir gegen uns selbst kämpfen müssen. Um dabei erfolgreich sein zu können, müssen wir offen und entspannt bleiben. Dann können wir Meinungen und Lebenseinstellungen aufspüren, die wir unreflektiert von anderen übernommen haben.
Jetzt müssen wir den auf der vorangegangen Seite (Starres Denken) erwähnten Fehler vermeiden, diese Fremd-Konditionierungen durch neue zu ersetzen, denn das passiert oft und ziemlich schnell, ohne dass wir es merken.
Besser keine Meinung haben, als eine falsche
Es ist besser, in einer bestimmten Angelegenheit keine Meinung (oder zumindest keine endgültige) zu haben, als eine falsche. Das ist kein Makel. Es ist besser, so lange offen zu bleiben, bis wir wirklich etwas wissen.
Offenheit, Einfachheit und Entspanntheit helfen uns dabei. Denn wir dürfen nicht vergessen, unsere mentalen Konditionierungen haben nur deshalb Bedeutung für uns, weil wir sie nie infrage gestellt, sie nie kritisch betrachtet haben.
Fehlerfreies Denken ist unmöglich
Wir sollten unsere Denke in einem permanenten Prozess auf Plausibilität und Authentizität überprüfen.
Unsere Gedanken dürfen nicht bloß unsere programmgemäßen Gefühle und Konditionierungen rekapitulieren. Es ist wichtig, unser Denken nicht als uneingeschränkt richtig und naturgegeben zu verstehen. Wir müssen erkennen, dass Teile unseres Denkens falsch sein müssen, weil es absolut fehlerfreies Denken niemals geben kann. Dann wird es uns möglich sein, diese falschen Teile ausfindig zu machen.
Es ist schwer, diese fest ausgetretenen Pfade in unseren Köpfen zu verlassen, besonders wenn wir gar nicht wissen, dass es Pfade sind. Doch wenn wir wirklich an uns selbst interessiert sind (was leider nicht einfach ist), werden wir sie nach und nach aufspüren. Ab dann beginnt unsere Weiterentwicklung.
Wir brauchen andere Menschen fast immer, um die Richtigkeit oder Unrichtigkeit unserer Denkergebnisse zu erkennen. Manchmal muss es aber eine sehr einsame Sache werden.
Ich würde es so nicht sagen; ich würde nicht sagen, dass Denken fehlerhaft ist – es ist unvollständig, muß unvollständig sein. Denn es ist nur eine Momentaufnahme, ein Bild, dass man sich macht, vielleicht und im besten Fall ein winziger Teil der „Wahrheit“. Ein Bild wird niemals die Realität in ihrer Ganzheit darstellen (abbilden) können. Und dieses Bild wird bestimmt von all den Konditionierungen (oder nennen wir es Sozialisation), die auch wieder Bilder sind, und die wir im Laufe unseres Lebens erworben und gespeichert haben, an denen wir deshalb festhalten, weil sie uns Sicherheit zu geben scheinen. Das wäre dann jeweils „meine“ „deine“ „unsere“ Perspektive, aus der wir die Dinge betrachten, eine von unzähligen Anderen und jede hat sicher ihre Berechtigung. Mensch darf nur nicht dem Irrtum anhängen, diese seine Perspektive sei die einzig Gültige und Wahrhaftige.
Mitgefühl wäre dann der Versuch, die Perspektive eines Anderen nachzuempfinden.
Ich habe mal irgendwo ein Gleichnis gelesen von Menschen (Blinden), die gebeten wurden zu bestimmen, wie ein Elefant aussieht, indem sie – jeder für sich – einen anderen Körperteil des Tieres untersuchen. Tatsächlich ist es – wie ich nun sehe – auf Wikipedia zu finden (https://de.wikipedia.org/wiki/Die_blinden_M%C3%A4nner_und_der_Elefant).
Einen schönen Tag wünscht
Uwe
Danke für Deinen sehr anregenden Kommentar. Ich gebe dir in allen Punkten recht.
Du schreibst, unser Denken wäre nicht fehlerhaft, sondern unvollständig. Das stimmt mit Sicherheit. Vollständiges, allumfassendes Denken kann es gar nicht geben. Doch da uns meistens gar nicht bewusst ist, dass unser Denken unvollständig ist (also nicht alle Aspekte der zu behandelnden Ausgangsfrage berücksichtigt), kann das Ergebnis unseres Denkens auch nicht wirklichen korrekt sein. Es liegt dann an uns selbst, ob wir fähig sind, unsere intellektuelle Grenzen zu erkennen und zu respektieren. Besitzen wir diese Fähigkeit, können wir unsere Meinung relativieren und sagen: „Ich glaube zwar, dass es so ist, wie ich behaupte, ich könnte mich aber trotzdem irren.“ Leider sind wir dazu nur selten bereit.
Du schreibst: „Ein Bild wird niemals die Realität in ihrer Ganzheit darstellen (abbilden) können.“
Doch das ist uns selten bewusst und deshalb halten wir dieses „Einzelbild“ für die ganze Wahrheit. Unser Denken besteht nicht nur daraus, dass wir Informationen verarbeiten und uns so eine Meinung bilden. Wir lassen auch unsere Gefühle und Wünsche mit einfließen – und die sind meistens irrational. Das heißt, wir sind nicht objektiv bei der Beurteilung unserer eigenen Gedanken, Meinungen und Gefühle (und könnten es wahrscheinlich auch gar nicht sein – selbst wenn wir wollten).
Du schreibst: „Mensch darf nur nicht dem Irrtum anhängen, diese seine Perspektive sei die einzig Gültige und Wahrhaftige.“
Doch genau das tun wir die meiste Zeit, denn wir kennen nur unsere Perspektive und interessieren uns auch nur selten für andere. Natürlich sind nicht alle Menschen so, die Mehrheit leider schon. Das ist meine Beobachtung.
Ich werde diesen „Unvollkommenheits-Aspekt“, den du aufgezeigt hast, demnächst in die Seite einfügen. Danke für den Hinweis.
Das Beispiel mit den Elefanten und den Blinden hatte ich auch schon irgendwo schon mal gelesen oder gehört.
Gruß
Michael