Kri­tik am Den­ken


Eine Landstraße wird von einer Eselsherde überquert. Davor liegen Sandhaufen auf der Straße. Leute stehen daneben und fotografieren die Szene mit ihren Handys.

Weni­ger Stur­heit im Den­ken

Ein Umstand, der uns das unab­hän­gig Den­ken erschwert, ist unse­re ver­krampf­te Hal­tung zum Leben selbst. Um ein neu­es, offe­nes Den­ken zu ent­wi­ckeln, ist daher eine locke­re Ein­stel­lung zum Leben, zu uns selbst und allem, was uns wich­tig ist, eine zwin­gen­de Vor­aus­set­zung.

Wir müs­sen drin­gend ler­nen, unser Den­ken nur als Aus­druck einer momen­ta­nen Wahr­neh­mung oder auch Lau­ne zu ver­ste­hen. Wir soll­ten es weni­ger ernst neh­men.

Dass die Gedan­ken ande­rer Men­schen poten­zi­ell feh­ler­haft sind, berei­tet uns kei­ne Kopf­schmer­zen, doch bei der Beur­tei­lung unse­ren eige­nen lei­den wir unter der soge­nann­ten Betriebs­blind­heit. Doch es wäre klug, uns zu fra­gen: „War­um soll­te aus­ge­rech­net mein Den­ken ohne Feh­ler sein? Bin ich denn etwas Beson­de­res?“

Wir sind nichts Beson­de­res

Viel­leicht hal­ten wir uns dafür, doch wenn wir ehr­lich sind, müs­sen wir die­se Fra­ge ver­nei­nen. Zu die­ser ein­fa­chen und ent­span­nen­den Bezie­hung zu unse­ren eige­nen intel­lek­tu­el­len Fähig­kei­ten sind wir lei­der nur sel­ten fähig. Um uns wei­ter­ent­wi­ckeln zu kön­nen, soll­ten wir es jedoch sein, denn Wei­ter­ent­wick­lung ist alles, wor­um es im Leben geht.

Wenn wir ver­ste­hen, dass unser Den­ken nicht zwangs­läu­fig rich­tig ist, nur weil es unse­res ist, haben wir eine wich­ti­ge Hür­de genom­men. Mit die­ser Ein­stel­lung kön­nen wir unser Den­ken als Phä­no­men ver­ste­hen und ler­nen, es nüch­tern und neu­tral wahr­zu­neh­men und zu bewer­ten. Wir kön­nen uns dann ehr­lich fra­gen: „Wel­che Gedan­ken und Mei­nun­gen habe ich selbst ent­wi­ckelt und wel­che von ande­ren über­nom­men?“


Ein Esel und eine Vogelscheuche mit Pferdekopf stehen an einem Regentag an einer befahrenen Landstraße und scheinen zu trampen.

Kon­di­tio­nier­tes Den­ken erken­nen

In unse­rer Kind­heit glaub­ten wir fast alle an Din­ge, die nicht exis­tie­ren – bei­spiels­wei­se den Weih­nachts­mann (zumin­dest kurz­fris­tig). Er ist eine erfun­de­ne Figur, die Kin­der zum Gehor­sam anre­gen soll. Das wuss­ten wir damals natür­lich nicht und des­halb haben wir die­sen Glau­ben auch nicht ange­zwei­felt.

Stel­len wir uns nun vor, dass so etwas immer noch mög­lich ist und wir als Erwach­se­ne an etwas glau­ben, das es gar nicht gibt. Mit etwas Mut und Fan­ta­sie gelingt uns das.

Anschlie­ßend brin­gen wir die Kraft und den Wil­len auf, ernst­haft nach über­flüs­si­gen und fremd­be­stimm­ten men­ta­len Kon­di­tio­nie­run­gen zu suchen. Wir müs­sen dar­an inter­es­siert sein und mit uns selbst ins Gericht gehen.

Das ist schwer und Ener­gie rau­bend, da wir gegen uns selbst kämp­fen müs­sen. Um dabei erfolg­reich sein zu kön­nen, müs­sen wir offen und ent­spannt blei­ben. Dann kön­nen wir Mei­nun­gen und Lebens­ein­stel­lun­gen auf­spü­ren, die wir unre­flek­tiert von ande­ren über­nom­men haben.

Jetzt müs­sen wir den auf der vor­an­ge­gan­gen Sei­te (Star­res Den­ken) erwähn­ten Feh­ler ver­mei­den, die­se Fremd-Kon­di­tio­nie­run­gen durch neue zu erset­zen, denn das pas­siert oft und ziem­lich schnell, ohne dass wir es mer­ken.

Bes­ser kei­ne Mei­nung haben, als eine fal­sche

Es ist bes­ser, in einer bestimm­ten Ange­le­gen­heit kei­ne Mei­nung (oder zumin­dest kei­ne end­gül­ti­ge) zu haben, als eine fal­sche. Das ist kein Makel. Es ist bes­ser, so lan­ge offen zu blei­ben, bis wir wirk­lich etwas wis­sen.

Offen­heit, Ein­fach­heit und Ent­spannt­heit hel­fen uns dabei. Denn wir dür­fen nicht ver­ges­sen, unse­re men­ta­len Kon­di­tio­nie­run­gen haben nur des­halb Bedeu­tung für uns, weil wir sie nie infra­ge gestellt, sie nie kri­tisch betrach­tet haben.

Feh­ler­frei­es Den­ken ist unmög­lich

Wir soll­ten unse­re Den­ke in einem per­ma­nen­ten Pro­zess auf Plau­si­bi­li­tät und Authen­ti­zi­tät über­prü­fen.

Unse­re Gedan­ken dür­fen nicht bloß unse­re pro­gramm­ge­mä­ßen Gefüh­le und Kon­di­tio­nie­run­gen reka­pi­tu­lie­ren. Es ist wich­tig, unser Den­ken nicht als unein­ge­schränkt rich­tig und natur­ge­ge­ben zu ver­ste­hen. Wir müs­sen erken­nen, dass Tei­le unse­res Den­kens falsch sein müs­sen, weil es abso­lut feh­ler­frei­es Den­ken nie­mals geben kann. Dann wird es uns mög­lich sein, die­se fal­schen Tei­le aus­fin­dig zu machen.

Es ist schwer, die­se fest aus­ge­tre­te­nen Pfa­de in unse­ren Köp­fen zu ver­las­sen, beson­ders wenn wir gar nicht wis­sen, dass es Pfa­de sind. Doch wenn wir wirk­lich an uns selbst inter­es­siert sind (was lei­der nicht ein­fach ist), wer­den wir sie nach und nach auf­spü­ren. Ab dann beginnt unse­re Wei­ter­ent­wick­lung.


3 Gedanken zu „Kri­tik am Den­ken“

  1. Wir brau­chen ande­re Men­schen fast immer, um die Rich­tig­keit oder Unrich­tig­keit unse­rer Den­k­ergeb­nis­se zu erken­nen. Manch­mal muss es aber eine sehr ein­sa­me Sache wer­den.

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  2. Ich wür­de es so nicht sagen; ich wür­de nicht sagen, dass Den­ken feh­ler­haft ist – es ist unvoll­stän­dig, muß unvoll­stän­dig sein. Denn es ist nur eine Moment­auf­nah­me, ein Bild, dass man sich macht, viel­leicht und im bes­ten Fall ein win­zi­ger Teil der „Wahr­heit“. Ein Bild wird nie­mals die Rea­li­tät in ihrer Ganz­heit dar­stel­len (abbil­den) kön­nen. Und die­ses Bild wird bestimmt von all den Kon­di­tio­nie­run­gen (oder nen­nen wir es Sozia­li­sa­ti­on), die auch wie­der Bil­der sind, und die wir im Lau­fe unse­res Lebens erwor­ben und gespei­chert haben, an denen wir des­halb fest­hal­ten, weil sie uns Sicher­heit zu geben schei­nen. Das wäre dann jeweils „mei­ne“ „dei­ne“ „unse­re“ Per­spek­ti­ve, aus der wir die Din­ge betrach­ten, eine von unzäh­li­gen Ande­ren und jede hat sicher ihre Berech­ti­gung. Mensch darf nur nicht dem Irr­tum anhän­gen, die­se sei­ne Per­spek­ti­ve sei die ein­zig Gül­ti­ge und Wahr­haf­ti­ge.
    Mit­ge­fühl wäre dann der Ver­such, die Per­spek­ti­ve eines Ande­ren nach­zu­emp­fin­den.

    Ich habe mal irgend­wo ein Gleich­nis gele­sen von Men­schen (Blin­den), die gebe­ten wur­den zu bestim­men, wie ein Ele­fant aus­sieht, indem sie – jeder für sich – einen ande­ren Kör­per­teil des Tie­res unter­su­chen. Tat­säch­lich ist es – wie ich nun sehe – auf Wiki­pe­dia zu fin­den (https://de.wikipedia.org/wiki/Die_blinden_M%C3%A4nner_und_der_Elefant).

    Einen schö­nen Tag wünscht
    Uwe

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    • Dan­ke für Dei­nen sehr anre­gen­den Kom­men­tar. Ich gebe dir in allen Punk­ten recht.

      Du schreibst, unser Den­ken wäre nicht feh­ler­haft, son­dern unvoll­stän­dig. Das stimmt mit Sicher­heit. Voll­stän­di­ges, all­um­fas­sen­des Den­ken kann es gar nicht geben. Doch da uns meis­tens gar nicht bewusst ist, dass unser Den­ken unvoll­stän­dig ist (also nicht alle Aspek­te der zu behan­deln­den Aus­gangs­fra­ge berück­sich­tigt), kann das Ergeb­nis unse­res Den­kens auch nicht wirk­li­chen kor­rekt sein. Es liegt dann an uns selbst, ob wir fähig sind, unse­re intel­lek­tu­el­le Gren­zen zu erken­nen und zu respek­tie­ren. Besit­zen wir die­se Fähig­keit, kön­nen wir unse­re Mei­nung rela­ti­vie­ren und sagen: „Ich glau­be zwar, dass es so ist, wie ich behaup­te, ich könn­te mich aber trotz­dem irren.“ Lei­der sind wir dazu nur sel­ten bereit.

      Du schreibst: „Ein Bild wird nie­mals die Rea­li­tät in ihrer Ganz­heit dar­stel­len (abbil­den) kön­nen.“
      Doch das ist uns sel­ten bewusst und des­halb hal­ten wir die­ses „Ein­zel­bild“ für die gan­ze Wahr­heit. Unser Den­ken besteht nicht nur dar­aus, dass wir Infor­ma­tio­nen ver­ar­bei­ten und uns so eine Mei­nung bil­den. Wir las­sen auch unse­re Gefüh­le und Wün­sche mit ein­flie­ßen – und die sind meis­tens irra­tio­nal. Das heißt, wir sind nicht objek­tiv bei der Beur­tei­lung unse­rer eige­nen Gedan­ken, Mei­nun­gen und Gefüh­le (und könn­ten es wahr­schein­lich auch gar nicht sein – selbst wenn wir woll­ten).

      Du schreibst: „Mensch darf nur nicht dem Irr­tum anhän­gen, die­se sei­ne Per­spek­ti­ve sei die ein­zig Gül­ti­ge und Wahr­haf­ti­ge.“
      Doch genau das tun wir die meis­te Zeit, denn wir ken­nen nur unse­re Per­spek­ti­ve und inter­es­sie­ren uns auch nur sel­ten für ande­re. Natür­lich sind nicht alle Men­schen so, die Mehr­heit lei­der schon. Das ist mei­ne Beob­ach­tung.

      Ich wer­de die­sen „Unvoll­kom­men­heits-Aspekt“, den du auf­ge­zeigt hast, dem­nächst in die Sei­te ein­fü­gen. Dan­ke für den Hin­weis.

      Das Bei­spiel mit den Ele­fan­ten und den Blin­den hat­te ich auch schon irgend­wo schon mal gele­sen oder gehört.

      Gruß
      Micha­el

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