Natio­na­lis­mus


Die Erde, mit dicken Ketten gefesselt und unbeweglich gemacht.

Hemm­schuh unse­rer glo­ba­len Ent­wick­lung

Solan­ge wir noch eine Hei­mat und natio­na­le Zuge­hö­rig­keit brau­chen, um uns ent­spannt zu Hau­se füh­len zu kön­nen, sind wir als Indi­vi­du­en und als Mensch­heit nicht eman­zi­piert.

Natio­na­lis­mus ist ein ande­res Wort für Hei­mat­ver­bun­den­heit oder Vater­lands­lie­be. Mit Hei­mat mei­nen wir eine bestimm­te Regi­on auf die­sem Pla­ne­ten, in der wir gebo­ren und auf­ge­wach­sen sind. Dort haben wir unse­re soge­nann­ten „Wur­zeln“, inklu­si­ve einer ange­bo­re­nen Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gung und Bür­ger­rech­te. Dort gibt es die kul­tu­rel­len und tra­di­tio­nel­len Gepflo­gen­hei­ten, mit denen wir auf­ge­wach­sen und ver­traut sind. Heut­zu­ta­ge hat die­se Form der natio­na­len Zuge­hö­rig­keit jedoch oft den Cha­rak­ter einer neu­ro­ti­schen Fixie­rung.

Die­se Fixie­rung auf eine bestimm­te geo­gra­fi­sche Regi­on und die dort vor­herr­schen­den Sit­ten, Brauch­tü­mer und Lebens­sti­le, ver­lie­ren in einer Welt, die all­mäh­lich zusam­men­wächst, ihre Bedeu­tung.

Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit als Iden­ti­täts­er­satz

Iden­ti­tät und Ori­en­tie­rung sind im Leben sehr wich­tig. Wir alle brau­chen bei­des. Wir müs­sen wis­sen, wer oder was wir sind, um als Mensch im All­tag funk­tio­nie­ren zu kön­nen. Andern­falls sind wir nicht gesell­schafts­fä­hig.

Es gibt ver­schie­de­ne Mög­lich­kei­ten, zu einer Iden­ti­tät zu fin­den. Eine davon ist die Zuge­hö­rig­keit: Wir wis­sen wer und was wir sind, weil wir einer bestimm­ten Grup­pe ange­hö­ren. Das kann eine Nati­on, ein Ver­ein, eine Cli­que oder die Fami­lie sein. Wir iden­ti­fi­zie­ren uns mit den Wer­ten, über die sich die­se Grup­pe defi­niert.

Bei jedem Men­schen hat die­ses Iden­ti­fi­ka­ti­ons- oder Zuge­hö­rig­keits­ge­fühl einen ande­ren Stel­len­wert, eine ande­re Bedeu­tung. Dem einen ist es sehr wich­tig, dem ande­ren mehr oder weni­ger egal. Denn der Grad, den die Bedeu­tung die­ser Zuge­hö­rig­keit besitzt, hängt von unse­rer per­sön­li­chen oder indi­vi­du­el­len Inte­gri­tät ab.

All­ge­mein gilt: Je mehr ein Mensch sich selbst kennt und weiß, war­um er so denkt, fühlt und han­delt, wie er es tut, des­to weni­ger ist sein Selbst­wert­ge­fühl von der Zuge­hö­rig­keit zu einer Grup­pe abhän­gig: Sei­ne per­sön­li­che Inte­gri­tät ist hoch.

Per­sön­li­che Inte­gri­tät kon­tra natio­na­le Zuge­hö­rig­keit

Ein star­kes Selbst­be­wusst­sein braucht kei­ne natio­na­le Zuge­hö­rig­keit um eine Iden­ti­tät gene­rie­ren zu kön­nen.

Je weni­ger ein Mensch sich selbst kennt, des­to wich­ti­ge ist ihm die Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit: Sei­ne per­sön­li­che, inne­re (oder auch see­li­sche) Inte­gri­tät ist nied­rig. Des­halb benö­tigt er eine äuße­re. Je grö­ßer unse­re per­sön­li­che Inte­gri­tät ist, des­to weni­ger brau­chen wir eine Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit, um ein Selbst­wert­ge­fühl ent­wi­ckeln zu kön­nen.

Das bedeu­tet: Eine (natio­na­le) Iden­ti­tät, die man durch eine Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit erhält, ist nur eine schein­ba­re, geborg­te, vir­tu­el­le Iden­ti­tät. Denn fällt die Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit plötz­lich weg (viel­leicht weil sie einem aberkannt wur­de oder die Grup­pe sich auf­ge­löst hat), ver­schwin­det auch das durch die Aner­ken­nung die­ser Grup­pe erzeug­te Selbst­wert­ge­fühl.

Die­se Art der Iden­ti­tät ist folg­lich gar kei­ne, son­dern nur der Ver­such, sich selbst über das Nicht­vor­han­den­sein eines ech­ten Selbst­wert­ge­fühls hin­weg­zu­täu­schen.

Wol­len wir also die natio­na­le Ego­zen­trik über­win­den, müs­sen wir zuerst unse­re inne­re (indi­vi­du­el­le, per­sön­li­che, see­li­sche) Inte­gri­tät stär­ken. Unser Selbst­wert­ge­fühl oder Selbst­be­wusst­sein darf nicht von äuße­ren Fak­to­ren abhän­gig sein.

Wir müs­sen uns daher mehr für uns selbst inter­es­sie­ren. Doch das tun wir meis­tens nicht, da das kei­nen Spaß macht. Im Prin­zip sind wir uns also selbst egal. Haupt­sa­che, wir gehö­ren einer Grup­pe an.

Man­gel­haf­tes Inter­es­se an uns selbst

Oft wis­sen wir gar nicht, war­um wir so füh­len, den­ken und han­deln, wie wir es tun. Wir fol­gen unre­flek­tiert unse­ren Impul­sen und Trie­ben und fra­gen uns nie, woher die­se kom­men und wel­che Bedeu­tung sie haben. Unser Leben besteht zu gro­ßen Teil aus flüch­ti­gen Bedürf­nis­be­frie­di­gun­gen, die sich naht­los anein­an­der­rei­hen.

Wir wis­sen auch nur sel­ten, was inne­re Inte­gri­tät ist: Zu wis­sen, war­um wir bestimm­te Gefüh­le, Gedan­ken, Mei­nun­gen, Vor­lie­ben, Abnei­gun­gen und Inter­es­sen wirk­lich haben und ergän­zend der ratio­nal-eman­zi­pier­te Umgang damit, wenn wir sie als irra­tio­nal oder pro­ble­ma­tisch erken­nen.

Die Her­kunft und Bedeu­tung unse­rer Gedan­ken und Gefüh­le ist uns egal. Wir wol­len uns nicht ver­ste­hen und unse­re Moti­ve und Beweg­grün­de ken­nen­ler­nen, damit wir uns wei­ter­ent­wi­ckeln.

Das Ver­ste­hen der eige­nen Gefüh­le und Gedan­ken ist jedoch eine wich­ti­ge Vor­aus­set­zung zur inne­ren Inte­gri­tät. Solan­ge wir die­ses Inter­es­se nicht haben, wird uns unse­re natio­na­le Zuge­hö­rig­keit wich­ti­ger sein als unser Tun und Den­ken. Die­ses Des­in­ter­es­se hält die Bar­rie­ren zwi­schen den Län­dern und Volks­grup­pen auf­recht.

Wir soll­ten uns also fra­gen, was uns wich­ti­ger ist: eine letzt­end­lich künst­li­che Iden­ti­tät, die uns auf etwas redu­ziert, das wir nicht sind und uns unse­re Mög­lich­kei­ten nimmt. Oder ein welt­weit ent­spann­tes Kli­ma der Freund­lich­keit, wel­ches die Mensch­heit zur zukunfts­ge­stal­ten­den Krea­ti­vi­tät ani­miert.


Hei­mat ist nicht bio­lo­gisch

Wächst ein Deut­scher in Bra­si­li­en unter Bra­si­lia­nern auf, ist er an die bra­si­lia­ni­sche Kul­tur gewöhnt. Dann ist Bra­si­li­en sei­ne Hei­mat, und wenn sei­ne bra­si­lia­ni­schen Mit­bür­ger ihn auf­grund sei­ner even­tu­ell etwas hel­le­ren Haut nicht ableh­nen, fühlt und denkt er auch wie ein Bra­si­lia­ner, obwohl er deut­sche Eltern hat, die in Deutsch­land auf­ge­wach­sen sind.

Wel­che „Hei­mat“ ein Mensch hat, bestimmt also nicht sei­ne bio­lo­gi­sche Abstam­mung. Die ist im Prin­zip unwe­sent­lich. Doch oft ver­knüp­fen wir die natio­na­le Zuge­hö­rig­keit allein mit dem Phä­no­typ, dem äuße­ren Erschei­nungs­bild eines Men­schen, das bei den Völ­kern unter­schied­lich sein kann.

Natür­li­che Befan­gen­heit und Ver­le­gen­heit

Eine gewis­se Befan­gen­heit, wenn auch nur schwach aus­ge­prägt, ken­nen wir eigent­lich alle, wenn wir einem (frem­den) Men­schen gegen­über­ste­hen, des­sen Aus­se­hen für uns unge­wohnt ist.

Wenn wir mit die­sem Ver­le­gen­heits­ge­fühl nicht umge­hen kön­nen, nei­gen wir daher dazu, Situa­tio­nen, in denen uns frem­de und unge­wohnt aus­se­hen­de Men­schen begeg­nen könn­ten, zu ver­mei­den.

Wird jemand mit inte­grier­ten tür­ki­schen Eltern in Deutsch­land gebo­ren, wächst er meis­tens auch mit der deut­schen Kul­tur und der deut­schen Spra­chen auf, sodass er deutsch denkt und fühlt. Trotz­dem kann er für natio­nal fixier­te Deut­sche als Aus­län­der gel­ten, obwohl er deutsch denkt, fühlt, han­delt und lebt und mög­li­cher­wei­se auch ein bes­se­res Deutsch spricht als sie selbst.

Unzu­frie­den­heit und Lebens­frust

Unse­re Res­sen­ti­ments gegen­über Men­schen, die aus einem uns frem­den Kul­tur­kreis stam­men oder unge­wohnt aus­se­hen, nen­nen wir Frem­den­feind­lich­keit oder auch Xeno­pho­bie. Wir befürch­ten, sie ver­fäl­schen unse­re Kul­tur und Tra­di­tio­nen und leh­nen sie des­we­gen ab. Das ist unse­re offi­zi­el­le Begrün­dung, wenn wir frem­de Men­schen ableh­nen.

Der tat­säch­li­che Grund ist ein ande­rer: Wir sind unzu­frie­den mit uns selbst und unse­rem Leben, und weil wir nicht fähig sind, den Grund für die­se Unzu­frie­den­heit in uns selbst zu erken­nen, machen wir äuße­re Umstän­de dafür ver­ant­wort­lich.

Uns ist nicht bewusst, dass unse­re Abnei­gung gegen frem­de Men­schen haupt­säch­lich ein Pro­dukt unse­res uner­füll­ten Lebens ist. Und wenn wir es irgend­wie doch ein­mal ahnen, ver­ban­nen wir die­se Gedan­ken sofort wie­der. Doch uns soll­te klar sein:

Wirk­lich zufrie­de­nen und aus­ge­gli­che­nen Men­schen ist es egal, woher ihre Nach­barn stam­men, wel­che Far­be ihre Haut besitzt oder wel­cher Kul­tur sie ursprüng­lich ange­hör­ten.

Da wir also den wah­ren Hin­ter­grün­de für unse­re per­ma­nen­te inne­re Unzu­frie­den­heit als Natio­na­lis­ten nicht ken­nen (oder nicht ken­nen wol­len), pro­ji­zie­ren wir ihn auf äuße­re Umstän­de – in die­sem Fall unse­re Mit­bür­ger, die in einer ande­ren Regi­on der Erde gebo­ren und auf­ge­wach­sen sind.

Gäbe es bei­spiels­wei­se kei­ne Mit­bür­ger aus­län­di­scher Her­kunft, wür­den wir als Men­schen, die unter dem »Unzu­frie­den­heits­syn­drom« lei­den, unse­ren Frust ver­stärkt an ande­ren Min­der­hei­ten abre­agie­ren (viel­leicht Obdach­lo­se, Homo­se­xu­el­le oder Kör­per­be­hin­der­te).

Fal­sche Moti­va­ti­ons­grund­la­ge

Unse­re Frem­den­feind­lich­keit (aus der unse­re Vater­lands­lie­be resul­tiert) ist also ein Aus­druck unse­res per­ma­nen­ten Lebens­frus­tes. Wir emp­fin­den es auch als unge­recht, dass ande­re einen gut bezahl­ten Job und Pri­vi­le­gi­en haben, wäh­rend wir mit unse­rer Arbeit kaum mehr als unse­re Grund­be­dürf­nis­se befrie­di­gen kön­nen.

Dabei über­se­hen wir, dass die „Gut­be­job­ten“ meis­tens eine umfang­rei­che Aus­bil­dung absol­viert haben, also viel dafür getan haben. Nicht in Form von kör­per­li­cher Arbeit, son­dern durch das dis­zi­pli­nier­te Fest­hal­ten an einem weit ent­fern­ten Ziel, von dem nie sicher gesagt wer­den konn­te, ob es erreicht wird.

Bei­spiels­wei­se braucht es viel Dis­zi­plin, um ein Stu­di­um erfolg­reich abzu­schlie­ßen. Man muss sich stän­dig selbst antrei­ben und wenn man dann nach 5 Jah­ren sei­nen Dok­tor oder sein Staats­examen hat, bedeu­tet das noch gar nichts.

Oft müs­sen Aka­de­mi­ker nach abge­schlos­se­nem Stu­di­um zunächst ein paar Jah­re als Volon­tä­re arbei­ten, bevor sie eine Fest­an­stel­lung bekom­men und Geld ver­die­nen kön­nen.

Bereits in der Berufs­aus­bil­dung wird Geld ver­dient

Wer einen hand­werk­li­chen Aus­bil­dungs­be­ruf wählt, bekommt hin­ge­gen schon wäh­rend der Aus­bil­dungs­zeit eine Aus­bil­dungs­ver­gü­tung und ver­dient nach Abschluss der Aus­bil­dung bereits vom ers­ten Tag an Geld. Davon kön­nen Aka­de­mi­ker meis­tens nur träu­men.

Das berück­sich­ti­gen wir aller­dings nicht, denn uns ist nicht bewusst, dass aka­de­mi­sche Tätig­kei­ten anstren­gen­der und Ener­gie rau­ben­der sein kön­nen, als kör­per­li­che. Des­we­gen haben wir einen unbe­wuss­ten Groll gegen uns selbst, den wir dann auf ande­re pro­ji­zie­ren.


Bedin­gun­gen an unse­re Mit­men­schen

In einer futuristischen Stadt stehen eine Frau mit heller Hautfarbe und ein Mann mit dunkler Hautfarbe auf einer Straße und sehen Kindern beim Spielen zu.

Nichts braucht die Mensch­heit mehr als Men­schen­freun­de, denn Men­schenfein­de hat sie schon genug.

Wir tei­len die Mensch­heit in Grup­pen auf, in Völ­ker, Aus­län­der und Inlän­der, in dun­kel- und hell­häu­ti­ge, in hete­ro- und homo­se­xu­el­le, in dün­ne und dicke, in blon­de, brü­net­te und schwarz­haa­ri­ge, in schlaue und dum­me Men­schen. Im Mit­tel­al­ter haben wir Links­hän­der manch­mal umge­bracht. Ein Mensch zu sein, reicht uns nicht. Es genügt nicht, freund­lich und fried­lich zu sein. Manch­mal ist das sogar uner­wünscht.

Statt­des­sen muss unse­re Haut die rich­ti­ge Far­be haben, wir der rich­ti­gen Reli­gi­on ange­hö­ren, die rich­ti­ge Spra­che spre­chen und aus dem rich­ti­gen Land kom­men, ver­bun­den mit einer bestimm­ten poli­ti­sche Ein­stel­lung. Erfül­len wir all die­se Bedin­gun­gen, haben wir Chan­cen, respek­tiert zu wer­den, eine Garan­tie ist das aller­dings nicht.

Doch die­ser Respekt ist kein wirk­li­cher, son­dern nur eine Form von Dul­dung: Solan­ge wir die­se Bedin­gun­gen erfül­len, lässt man uns in Ruhe.

Wor­an liegt es, dass wir so vie­le und eigent­lich unwich­ti­ge Bedin­gun­gen an unse­re Mit­men­schen stel­len, damit wir sie akzep­tie­ren kön­nen? Die äuße­re Erschei­nung und der kul­tu­rel­le und reli­giö­se Hin­ter­grund eines Men­schen sind doch eher unwich­tig.

Was nützt es uns denn schon, wenn ein Mensch die glei­che Far­be oder Reli­gi­on hat wie ich, er jedoch ein Arsch­loch ist?

Viel lie­ber soll­ten uns Men­schen sein, die freund­lich, inter­es­sant und krea­tiv sind, egal wie sie aus­se­hen und wo sie her­kom­men. Der Grund für die­ses selt­sa­me und wider­sprüch­li­che Ver­hal­ten ist Fol­gen­des: Eigent­lich sind wir fast alle, auf unter­schied­li­che Arten, tief ver­un­si­cher­te Lebe­we­sen.

Ver­un­si­che­rung und schlech­tes Selbst­be­wusst­sein

Wir wis­sen viel­leicht nichts davon, weil Ver­un­si­che­rung nicht auto­ma­tisch als sol­che zu erken­nen ist, denn sie ist ein unan­ge­neh­mes Gefühl, das wir ger­ne kaschie­ren oder umeti­ket­tie­ren.

Also ver­mei­den wir instink­tiv Situa­tio­nen, in denen wir mit die­ser Schwä­che kon­fron­tiert wer­den könn­ten. Das tun wir, indem wir uns ein Umfeld suchen oder schaf­fen, in dem wir uns wohl­füh­len und ent­span­nen kön­nen:

Die Gegend, in der wir woh­nen, ist uns ver­traut, unse­re Woh­nung ist so ein­ge­rich­tet, wie wir es tra­di­tio­nell gewohnt sind und die Men­schen, mit denen wir im Job, in der Nach­bar­schaft, in der Öffent­lich­keit zu tun haben, ähneln uns in mög­lichst vie­len Aspek­ten.

Sind die­se Bedin­gun­gen erfüllt, ist die Gefahr der Kon­fron­ta­ti­on mit sozia­len Situa­tio­nen, auf die wir nicht vor­be­rei­tet sind und des­we­gen schlecht mit ihnen umge­hen kön­nen, gering. Und das ist die Vor­aus­set­zung für ein ent­spann­tes und sor­gen­frei­es Leben – vor­aus­ge­setzt, wir haben einen Job und unser Pri­vat­le­ben ist halb­wegs in Ord­nung.

Wir wer­den nicht genö­tigt, Din­ge wahr­neh­men, ein­ord­nen und regeln zu müs­sen, die uns fremd sind, denn alles ist so, wie es schon immer war.

Des­we­gen reagie­ren wir all­er­gisch auf alles, was die­se Ein­tracht stört. Und frem­de Men­schen mit einer frem­den Kul­tur und einem unge­wohn­ten Äuße­ren sind viel­leicht der größ­te Stör­fak­tor für unser künst­lich har­mo­ni­sier­tes Innen­le­ben.


Frem­den­pho­bie: Angst vor Men­schen und dem Leben selbst

Frem­de Kul­tu­ren, unge­wohn­te Phä­no­ty­pen, ande­re Sit­ten, Gebräu­che und Reli­gio­nen machen uns befan­gen, weil wir nicht wis­sen, wie wir uns ver­hal­ten sol­len.

Unser gesam­ter Ver­hal­tens­ka­non ist einer Pro­gram­mie­rung ähn­lich: Wenn wir sozi­al aktiv sind, lau­fen im Wesent­li­chen sozi­al­spe­zi­fi­sche Pro­gram­me ab. In Situa­tio­nen, mit denen wir gut ver­traut sind, weil wir sie seit unse­rer Kind­heit ken­nen, geschieht das für gewöhn­lich vir­tu­os.

Doch für Situa­tio­nen, mit denen wir nicht ver­traut sind, gibt es kei­ne ent­spre­chen­de Pro­gram­mie­rung und das heißt, wir wis­sen nicht, was wir tun sol­len. Wir füh­len uns unse­rer Sou­ve­rä­ni­tät beraubt, obwohl die­se letzt­end­lich sowie­so nur eine Illu­si­on ist.

Wir füh­len uns unsi­cher und unwohl, ohne die Ursa­che zu ken­nen. Die ein­zi­ge Mög­lich­keit, die­ses unan­ge­neh­me Gefühl zu ver­mei­den, ist, sol­che Situa­tio­nen erst gar nicht ent­ste­hen zu las­sen. Das gelingt uns, indem wir frem­de Men­schen aus unse­rem Umfeld fern­hal­ten.

Frem­den­feind­lich­keit ist Men­schen­feind­lich­keit

Nicht des­we­gen, weil Frem­de auch Men­schen sind und man des­halb sagen könn­te: Frem­de Men­schen nicht zu mögen, bedeu­tet Men­schen nicht zu mögen. Das stimmt zwar, wäre aber doch zu ober­fläch­lich. Statt­des­sen kann man sagen:

Ech­ten Men­schen­freun­den ist es voll­kom­men egal, wo ein Mensch gebo­ren wur­de, wel­che Kul­tur er besitzt und wie er aus­sieht. Haupt­sa­che, er ist fried­lich und freund­lich.

Wer jedoch sei­ne Men­schen­freund­lich­keit vom kul­tu­rel­len Hin­ter­grund abhän­gig macht, sagt: Ich mag ande­re Men­schen, wenn sie so sind wie ich. Das ist aber kei­ne Men­schen­freund­lich­keit, son­dern nur eine Form der Ab- oder Aus­gren­zung. Denn wenn wir eins mögen, dann natür­lich das, womit wir ver­traut sind.

Und ver­traut sind wir am meis­ten mit uns selbst, unse­rem Aus­se­hen und Lebens­stil und den Gewohn­hei­ten, die unse­re Wahr­neh­mun­gen und Asso­zia­tio­nen im All­tag bestim­men. Je mehr unser täg­li­ches Funk­tio­nie­ren vom Vor­han­den­sein die­ser ver­trau­ten Fak­to­ren abhängt, des­to weni­ger mögen wir alles, was die­se Ein­tracht stört.

Was nicht so ist wie wir, mögen wir nicht

Streng genom­men han­delt es sich bei unse­rer Frem­den­pho­bie jedoch um Men­schen- bzw. Lebens­feind­lich­keit. Das frem­de Aus­se­hen man­cher Men­schen ist nur einer von meh­re­ren Aus­lö­sern, denn auch Ein­hei­mi­sche leh­nen wir ab, wenn sie unse­ren Erwar­tun­gen nicht ent­spre­chen:

Wer sich nicht so ver­hält, nicht so aus­sieht wie wir, den wol­len wir in unse­rem Umfeld nicht haben, egal ob aus­län­di­scher oder inlän­di­scher Her­kunft. Sind ande­re Men­schen nicht so wie wir, mögen wir sie ein­fach nicht und nut­zen jede Begrün­dung, mit der wir unse­re Abnei­gung ratio­na­li­sie­ren kön­nen.

Wären wir ech­te Men­schen­freun­de, wür­den wir uns am Aus­se­hen, dem Lebens­stil und der Her­kunft ande­rer Men­schen nicht stö­ren. Ganz im Gegen­teil: Es wür­de uns gefal­len, Men­schen in unse­rer Nach­bar­schaft zu haben, die anders aus­se­hen als wir, denn das erwei­tert unser Leben. Doch wir sind mit uns selbst so sehr im Unrei­nen, dass frem­de, unge­wohn­te Men­schen für uns Stress bedeu­ten.


DENA­TIO­NA­LI­SIE­RUNG


2 Gedanken zu „Natio­na­lis­mus“

  1. Dabei über­se­hen wir, dass die „Gut­be­job­ten“ meis­tens eine umfang­rei­che Aus­bil­dung absol­viert haben, also viel dafür getan haben. Nicht in Form von kör­per­li­cher Arbeit, son­dern durch das dis­zi­pli­nier­te Fest­hal­ten an einem weit ent­fern­ten Ziel, von dem nie sicher gesagt wer­den konn­te, ob es erreicht wird.

    Das ver­ste­hen wir aller­dings nicht, denn uns ist nicht bewusst, dass aka­de­mi­sche Tätig­kei­ten anstren­gen­der und Ener­gie rau­ben­der sein kön­nen, als kör­per­li­che. Des­we­gen haben wir einen unbe­wuss­ten Groll gegen uns selbst, den wir dann auf ande­re pro­ji­zie­ren.

    Die­se annah­me resul­tiert aus einem In unse­rem sys­tem eta­blier­ten Gedan­ken des Leis­tungs­trä­gers. Damit will ich sagen dass hier ein Unter­schied auf­ge­macht wird aber nicht genau­er son­dern im vagen gelas­sen wird. Was Scha­de ist, denn wir Leben oft mit dem Leistngs­trä­ger gedan­ken. Wer die Leis­tung eines Aka­de­mi­kers höher Stellt als die eines Gru­ben­ar­bei­ters der han­delt und denkt Falsch. Denn mann kann Leis­tung nicht ver­glei­chen aber man kann Bau­ar­bei­ter Abwer­ten und Aus­gren­zen das hat aber mit Leis­tung nichts zu Tun. Denn es gibt nur Erfolg­rei­che mone­tä­rer Pro­fit oft ohne gros­se Leis­tung als auch Flei­si­ge aber ohne Erfolg. Leis­tuns­den­ken ist eine Neo­li­be­ra­le Nen­schen­ver­ach­ten­de Politik.usw.

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    • Dan­ke für dei­nen Hin­weis. Ich stim­me dir zu. Die von dir zitier­te Pas­sa­ge könn­te tat­säch­lich etwas dif­fe­ren­zier­ter sein.

      Ich stel­le aller­dings nicht Aka­de­mi­ker über Hand­wer­ker – das hast du nur hin­ein­in­ter­pre­tiert. Ich schrei­be nur, dass aka­de­mi­sche Tätig­kei­ten anstren­gen­der sein kön­nen, als kör­per­li­che – es muss also nicht so sein. Und bes­ser bezahlt wer­den sie auch nicht immer. Das hät­te ich jedoch deut­li­cher her­aus­stel­len sol­len und wer­de die ent­spre­chen­de Text­stel­le dem­nächst ergän­zen.

      Als Arbei­ter (ich bin übri­gens einer und habe kei­ne aka­de­mi­sche Aus­bil­dung, son­dern „nur“ einen Haupt­schul­ab­schluss, habe nie einen aka­de­mi­schen Job gemacht, habe oft als Lager­ar­bei­ter, Gemein­de­ar­bei­ter, Sach­be­ar­bei­ter, oder Obst­pflü­cker gear­bei­tet, auch mal als Hilfs­ar­bei­ter auf dem Bau oder als Maler) glau­ben wir jedoch oft, Aka­de­mi­ker hät­ten ein leich­te­res Leben, weil sie nicht „kör­per­lich“ arbei­ten müs­sen.
      Das ist kei­ne Annah­me von mit, son­dern eine Beob­ach­tung.

      Um bei­spiels­wei­se ein Stu­di­um bis zum Ende durch­zu­zie­hen, braucht man viel Dis­zi­plin. Man muss sich selbst moti­vie­ren und wird nicht durch einen Arbeits­ver­trag oder Ähn­li­ches dazu gezwun­gen. Man muss sich selbst Tag für Tag aus Neue moti­vie­ren, zur Uni zu gehen um sich dort eine lang­wei­li­ge Vor­le­sung anzu­hö­ren. Aka­de­mi­ker kön­nen und müs­sen selbst ent­schei­den, wie sehr sie sich für ihre Aus­bil­dung enga­gie­ren. Tun sie es nur wenig oder gar nicht, wer­den sie auch sel­ten „Kar­rie­re“ machen.

      Ich selbst habe es immer sehr geschätzt, gere­gel­te Arbeits­zei­ten zu habe. Fünf Tage die Woche, frei­tags ist schon um 13 Uhr Schluss und dann hat man 2 ½ Tage frei. Man muss nur sei­ne Arbeit machen und hat kei­ne wei­te­ren Ver­pflich­tun­gen. Man muss auch nicht damit rech­nen, am Wochen­en­de viel­leicht einen Anruf vom Chef zu bekom­men oder Ähn­li­ches.

      Die Arbeits­zei­ten bei „Aka­de­mi­kern“ sind aller­dings sel­ten so klar gere­gelt. Da gibt es oft kein Wochen­en­de und auch der Fei­er­abend ist oft offen und abhän­gig von dem, was noch erle­digt wer­den muss. Aka­de­mi­ker arbei­ten oft deut­lich mehr als 40 Stun­den die Woche und sie haben auch Ver­ant­wor­tung über den Fei­er­abend hin­aus. Des­we­gen lei­den sie oft deut­lich stär­ker unter „Arbeits­stress“ als „ein­fa­che“ Arbei­ter.

      Oft müs­sen Aka­de­mi­ker (bei­spiels­wei­se Jour­na­lis­ten und Anwäl­te) nach abge­schlos­se­nem Stu­di­um erst mal als Volon­tä­re arbei­ten, wer­den also gar nicht oder nur gering bezahlt. Und wenn sie Pech haben, dau­ert die­se Pha­se ein paar Jah­re, bis sie einen befrie­di­gen­den Job fin­den. Als Hand­wer­ker hin­ge­gen wird man gleich vom ers­ten Tag an bezahlt und bekommt sogar in der Aus­bil­dung schon eine Aus­bil­dungs­ver­gü­tung. Wer also schnell mög­lichst viel Geld ver­die­nen will, soll­te bes­ser kei­ne aka­de­mi­sche Lauf­bahn ein­schla­gen.

      Außer­dem gibt es in aka­de­mi­schen Beru­fen oft nicht die arbeits­recht­li­chen Sicher­hei­ten (Kün­di­gungs­schutz und Ähn­li­ches), die man als Ange­stell­ter oder Arbei­ter hat. Ich möch­te jeden­falls kein Aka­de­mi­ker sein, auch wenn ich dann mehr Geld ver­die­nen wür­de.

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