Die Zukunft muss systemunabhängig sein
Noch brauchen wir Systeme, weil wir ohne sie nur unzureichend miteinander kooperieren würden. Zur autonomen Gesellschaftsführung sind wir noch nicht reif genug.
Inhalt
Unsere politischen, wirtschaftlichen, sozialen und strafrechtlichen Systeme (die wir gesellschaftsbezogene Ordnungssysteme nennen können) sind letztendlich Provisorien, das heißt, Notlösungen. Auch die Demokratie zählt dazu. Sie macht es möglich, eine Regierung ohne Blutvergießen zu wechseln (Karl Popper). Diese Eigenschaft ist mehr oder weniger auch schon ihre wichtigste.
Eine ähnliche Funktion besitzen unsere Traditionen. Sie stärken unseren nationalen und regionalen Zusammenhalt. Ihr Nachteil: Weil alle Nationen mehr oder weniger unterschiedliche Traditionen haben, sind kriegerische Konflikte zwischen den Staaten vorprogrammiert. Sie folgen einem periodischen Muster. So war es bis heute in der Menschheitsgeschichte. (Natürliche gibt es noch diverse andere Gründe zur Kriegsführung, die nicht weniger irrational sind.)
Kompromisslösung und Notwendigkeit
Wirklich gute Systeme wurden bis heute nicht gefunden oder entwickelt. Systeme, mit denen wir unser Zusammenleben zufriedenstellend und dauerhaft regeln können, gibt es höchstwahrscheinlich auch gar nicht. Selbst die besten sind nur bedingt tauglich und gleichen eher Kompromissen.
Ohne sie würden die meisten Gesellschaften jedoch noch viel schlechter funktionieren und deshalb haben wir sie nach wie vor dringend nötig. Denn das Gros aller Menschen kommt ohne eine übergeordnete Anleitung nicht zurecht und braucht deshalb den gesetzlichen, staatlichen Druck und Zwang. Wir würden keine ordnungsstiftenden Systeme brauchen, wären wir alle friedlich, freundlich und kreativ Menschen.
Dann würden sich selbstständig gut funktionierende und lebendige Strukturen des Zusammenlebens herausbilden, die auch ohne vordefinierte Regeln eine kreative und friedliche Welt ermöglichen.
Eine Zukunft ohne Systeme
Unsere Systeme sind zur globalen Friedensstiftung ungeeignet, denn sie haben einen mechanisch-deterministischen Charakter. Sie besitzen keine intuitive Dynamik, sondern gleichen eher starren Algorithmen.
Leider ist nur ein Teil aller Menschen dazu bereit, sich „einfach so“ freiwillig und bedingungslos friedlich und fair zu verhalten. Die Gründe für diese Verweigerung sind vielfältig. Unterschiedliche Religionen, sich widersprechende Ideologien und überzogene Egozentrik sind nur einige davon. Deswegen sind wir auf unsere Ordnungs- und Regelsysteme angewiesen – für die Zukunft der Menschheit sind sie jedoch unbrauchbar.
Systembedingt kommt es also immer wieder zu Ungerechtigkeiten in den Ländern. Denn was gerecht und ungerecht ist, lässt sich nicht immer eindeutig sagen. Unser Verhalten ist oft sprunghaft, manchmal auch unlogisch, obwohl es auch dann einen tieferen, aber nicht erkennbaren Sinn haben kann.
Unsere Systeme sind auf solche Unregelmäßigkeiten oder Sprünge jedoch nicht vorbereitet. Sie funktionieren gut in einer kleinen, überschaubaren Welt, in einer globalisierten werden sie jedoch versagen.
Die Welt und die Gesellschaften werden in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten anspruchsvoller sein als je zuvor. Die Aufgaben, vor denen wir stehen werden, werden mit den altbekannten Mitteln nicht mehr zu lösen sein.
Diese Mittel waren und sind bis heute: gesetzlicher Zwang, kulturelle Traditionen, ideologische Gleichschaltung, Religionen und natürlich auch Konkurrenzdenken.
Ein nötiger sozialer Evolutionssprung
Wir Menschen müssen uns ändern, nicht unsere Systeme. Denn wenn wir uns ändern, ändern sich auch unsere Systeme.
Sicherlich können wir uns heute kaum vorstellen, wie eine nicht-systemgesteuerte Welt funktionieren und aussehen könnte. Wahrscheinlich verbinden viele die Vorstellung von einer systemlosen Gesellschaft mit Anarchie und Gesetzlosigkeit. Und das zu Recht. Heutzutage würde sie noch nicht funktionieren und chaotische Zustände hervorbringen, denn die meisten aller Menschen sind dazu nicht bereit oder nicht fähig.
Wie bei Kindern, ist es auch bei Gesellschaften: Ab einem gewissen Alter müssen beide sich emanzipieren. Sie müssen lernen, ihr Leben unabhängig von der Leitung und Fürsorge einer höheren Instanz in den Griff zu bekommen.
Obwohl die Beziehung zwischen Eltern und Kinder als Bild für die Beziehung zwischen Gesellschaft und Systemen nicht wirklich stimmig ist, soll der Vergleich trotzdem zeigen, was passieren wird:
Herausforderung der Zukunft
Irgendwann werden die Gesellschaften sich »evolutionsbedingt« von ihren Systemen abnabeln müssen, um erwachsen zu werden.
Noch haben wir als Menschheit dieses Stadium nicht erreicht. Wir brauchen weiterhin dringend unsere Ordnungssysteme. Doch früher oder später müssen wir uns von dieser Abhängigkeit befreien, so wie Kinder sich von ihren Eltern lösen, um zukunftsfähig zu sein. Das sollte in den nächsten 100–200 Jahren geschehen.
Machen wir diesen Schritt nicht, verweigern wir uns also dieser Herausforderung, sind wir den Anforderungen einer zukünftigen globalen Welt nicht gewachsen. Und die kommt mit Sicherheit, auch wenn viele sie nicht mögen, da sie Veränderung bedeutet.
Wie diese systemlose Gesellschaftsform aussehen könnte, weiß natürlich niemand. Sie braucht jedoch Menschen, die es ablehnen, ihr Leben auf Kosten anderer zu gestalten. Sie braucht Menschen, die ihre Mitmenschen nicht mehr als Konkurrenz versteht.
Eine systemlose Gesellschaft funktioniert nur mit friedlichen, freundlichen und kreativen Menschen. Sie benötigt Individuen, die es nicht mögen, wenn andere leiden, während sie selbst ein angenehmes Leben haben.
Auch das hört sich völlig verrückt und utopisch an, wird aber eines Tages wahr werden müssen.