Gewalt ist natürlich
Gewalt ist keine menschliche Erfindung und auch keine Perversion. Im Leben und in der Natur funktioniert vieles ohne Gewalt nicht.
Inhalt
Tiere, die sich von Fleisch ernähren, müssen in den meisten Fällen Gewalt anwenden, um an ihre Nahrung zu kommen. Denn freiwillig stellt sich kein Lebewesen als Beute zur Verfügung. Selbst Aasfresser sind oft genötigt, den Kadaver mit Gewalt auseinanderzureißen.
Tiere, die sich pflanzlich ernähren, benötigen meistens auch ein Mindestmaß an Gewalt, denn widerstandslos gibt selbst die passivste Pflanze ihr grünes Blattwerk nicht her.
Will man einen Baumstamm oder etwas Vergleichbares entfernen, um beispielsweise einen Weg freizuräumen, geht das ebenfalls nur mit Gewalt. Können wir eine Schraube nur mit größerer Kraftaufwendung lösen, sagen wir: „Ich musste Gewalt anwenden, um die Schraube zu lösen.“
Neutral ausgedrückt bedeutet Gewalt »die Überwindung eines Widerstandes« mittels Kraftanwendung.
Bei den Beispielen mit der Schraube und dem Baumstamm ist das okay, denn beides sind Dinge, die wir ersetzen können oder nicht mehr brauchen. Diese Art der Aggression kann als kreativ oder funktionell bezeichnet werden. Sie schadet niemandem. Gewalt selbst ist daher nicht zwingend negativ zu bewerten. Es kommt darauf an, wofür sie eingesetzt wird.
Tiere sind aggressiv gewalttätig, um sich zu ernähren oder gegen Fressfeinde zu wehren. Wir sind das oft aus dem gleichen Grund, allerdings nicht selten auch nur aus Spaß. Es gefällt uns, die Macht zu besitzen, andere Menschen verletzen und ihnen Schmerzen zufügen zu können.
Defensive Gewalt ist legitim
Es gibt diverse Arten der Aggressionen, mit unterschiedlichen Charakteren oder Qualitäten. Doch meistens meinen wir damit körperliche Übergriffe auf andere Menschen. Diese Art ist weder funktionell noch kreativ, sondern destruktiv und zerstörend. Gewalt gegen Menschen oder Tiere muss deshalb in zwei Gruppen aufgeteilt werden.
Obwohl wir das wissen, unterscheiden wir oft trotzdem nicht zwischen aggressiver und defensiver Gewalt. Es gibt idealistische Pazifisten, die jede Aggression grundsätzlich ablehnen und im Extremfall sich lieber totschlagen lassen würden, als sich zu wehren – zumindest in der Legende.
Manchmal hören wir folgendes Argument: »Wenn wir uns gegen einen Angriff nicht wehren, verliert der Angreifer die Lust an seinem Tun.« Diese Theorie findet jedoch extrem selten eine Bestätigung. Deswegen ist es nötig, deutlich auf den Unterschied zwischen defensiver und aggressiver Gewalt hinzuweisen.
Eine Schutzmaßnahme
Defensive Gewalt – wie der Name schon sagt – dient zur Abwehr eines Angriffs. Wird ein Mensch angegriffen und hat er keine Möglichkeit, der Attacke zu entgehen (beispielsweise durch Flucht), kann er diese oft nur abwehren, indem er dasselbe tut, wie der Angreifer: Gewalt anwenden. Diese Gewalt fungiert jedoch nur als Schutzmaßnahme gegen Verletzungen. Folgendes Beispiel macht das deutlich:
Jemand steht unter oder neben einem Baum, von dem plötzlich ein Ast abbricht und der Person auf den Kopf zu fallen droht. Erkennt die Person, dass ihr die Zeit fehlt, dem Ast auszuweichen, wird sie instinktiv einen Arm in die Höhe reißen, um den herabstürzenden Ast abzuwehren.
Sie erleidet dabei Hautabschürfungen am Unterarm – der Kopf bleibt jedoch unverletzt. Die Person muss also Gewalt anwenden, um den herabstürzenden Ast daran zu hindern, sie zu verletzen. Niemand wird ihr das vorwerfen.
Vergleichen kann man dieses Bild mit der Faust eines Angreifers, die herangesaust kommt, um einem anderen Menschen ins Gesicht zu schlagen, aber vom Angegriffenen mit Gegengewalt abgewehrt wird.
Unterschied zwischen Angriff und Verteidigung
Wehren wir einen Faustschlag ab, machen wir das Gleiche wie die Person unter dem Baum: Da sie dem Schlag nicht ausweichen kann, blockt sie ihn ab. Belässt der Angreifer es nicht bei diesem einen Schlag, beginnt der Angegriffene jetzt selbst den Angreifer zu attackieren, denn auf Dauer wird es ihm nicht gelingen, die Schläge abzublocken oder ihnen auszuweichen.
Beendet der Angreifer seine Attacke, beendet der Angegriffene seine Abwehrmaßnahme. Umgekehrt gilt das nicht: Verteidigt der Angegriffene sich nicht oder nicht mehr, bedeutet das nicht, dass der Angreifer sein Tun auch beendet. Möglicherweise wird er sogar animiert, es zu intensivieren.
Kein Recht auf Angriff, aber ein Recht auf Verteidigung
Defensive Gewalt hat also einen völlig anderen Charakter als die aggressive. Sie dient allein zur Schadenabwendung, nicht zur Schadenerzeugung. Erzeugt sie dennoch Schaden, ist das nur ein Nebeneffekt:
Vom Verteidiger kann bei der Durchführung seiner Verteidigungsmaßnahmen nicht erwartet werden, Rücksicht auf die Unversehrtheit des Angreifers zu nehmen.
Der Aggressor hat nicht das Recht, den Verteidiger für eventuell erlittene Verletzungen verantwortlich zu machen. Die Verletzungen, die er davonträgt, sind das Resultat seines Angriffes. Ohne diesen wäre er nicht verletzt worden.
Defensive Gewalt ist daher legitim und kann als pazifistisch gelten, da sie nur zum Einsatz kommt, wenn es gilt, einen Schaden zu verhindern. Ohne aggressive Gewalt gibt es keine defensive Gewalt. Die aggressive existiert hingegen unabhängig von der defensiven, denn es wäre unsinnig, zu sagen: „Weil du dich verteidigst, muss ich dich angreifen.“