Prinzip Ausbeutung
Ausbeutung ist keine menschliche Erfindung. Es gibt sie schon länger als die Menschheit, vielleicht von Anbeginn des Lebens.
Inhalt
Ausbeutung kann als »Nutzbarmachung der Schwächen anderer« bezeichnet werden. Auch in der Tierwelt gibt es sie. Zum Beispiel halten Ameisen sich Schildläuse, um sich von deren Ausscheidungen zu ernähren. Obwohl diese Art der Tierhaltung durch Tiere einer Symbiose sehr ähnlich ist (immerhin beschützen die Ameisen ihre Honigtau-Lieferanten, die von diesem Schutz profitieren), ist sie trotzdem eine Form der Ausbeutung.
Die Pflanzensaftsauger haben der Inbesitznahme durch die Ameisen wahrscheinlich nicht zugestimmt. Die Läuse können sich nicht wehren, wissen wahrscheinlich nicht, was geschieht und sind den Ameisen ausgeliefert. Diese nehmen sich das, was sie brauchen, ohne zu fragen.
Missbrauch und Entfremdung in der Tierwelt
Tiere missbrauchen Bäume oder Büsche als Wohnstätten oder Unterkünfte. Auch die Bäume haben höchstwahrscheinlich nicht zugestimmt und können sich gegen ihre Untermieten nicht wehren.
Doch die Baumbewohner achten darauf, den Bäumen nicht zu sehr zu schaden, denn um dauerhaft und geschützt auf oder in ihnen zu leben, müssen die Wohnpflanzen meistens gesund und lebendig bleiben. Ameisen verteidigen ihren Strauch auch gegen Schädlinge und erhalten als Gegenleistung eine trockene Unterkunft. Auch hier kann von einer Symbiose gesprochen werden.
Früchte statt Blätter
Die Schwächen in der Pflanzenwelt werden von vielen Tieren also ausgenutzt. Pflanzen sind passiv und können ihren Fressfeinden nicht entkommen. Blätter und Samen werden von manchen Tieren einfach gefressen. Die Pflanzen können in den meisten Fällen nichts dagegen tun.
Doch um diesen Verlust in Schranken zu halten, haben sie gelernt, ihre Samen in einer nahrhaften Substanz einzubetten. Auf diese Art ist das entstanden, was wir Früchte nennen. Diese werden jetzt anstatt der Blätter gefressen und die Samen unverdaut wieder ausgeschieden. Pflanzen haben auch gelernt, dass ihre Blüten besser und öfter bestäubt werden, wenn sie den Insekten etwas (Nektar) für diesen Dienst anbieten.
Diese Pflanzen lösen zwei Probleme auf einmal: Indem sie den Tieren Früchte und Nektar zur Verfügung stellen, reduzieren sie den Verlust an Blättern und Blüten und fördern gleichzeitig ihre eigene Vermehrung. Es ist eine Symbiose, bei der die Partner die Abhängigkeiten des anderen nutzen, um die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Bleibt das Ganze im Gleichgewicht, funktioniert dieses Prinzip sehr gut. Beide Seiten profitieren davon.
Das Symbiose-Prinzip
Das symbiotische Prinzip funktioniert so: Ich besitze etwas (beispielsweise Produktionsüberschüsse), das ich nicht brauche, du aber schon, und du besitzt etwas, das du nicht brauchst, ich aber schon. Indem wir diese Sachen gegeneinander austauschen, schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe:
Erstens werden wir das los, was vielleicht eine Belastung für uns ist (weil es Platz beansprucht, den wir für etwas anderes brauchen und deshalb früher oder später sowieso weggeschmissen hätten). Zweitens bekommen wir etwas, das wir nicht haben aber dringend benötigen. Beide Symbiosepartner haben keine Verluste, sondern nur Gewinne. Und das alles ohne nennenswerten Arbeitsaufwand.
Perversion der Symbiose
Wir Menschen haben das Symbiose-Prinzip jedoch pervertiert. Das, was wir in der Tier- und Pflanzenwelt Symbiose nennen, wird in unserer Welt zur Ausbeutung.
Die Schwächen und Abhängigkeiten des anderen werden nicht mehr kreativ genutzt, sondern missbraucht: Es findet eine Nötigung statt. Im Gegensatz zur Symbiose, die sich durch das gegenseitige Geben und Nehmen definiert (was sie stabil und dauerhaft macht), wird bei der Ausbeutung so viel genommen wie möglich und nur das gegeben, was unbedingt nötig ist, um die Ausbeutung aufrechtzuerhalten.
Und manchmal selbst das nicht: Dann lassen wir unsere Sklaven sich totarbeiten oder verhungern, da wir sie problemlos durch neue ersetzen können.
Grundlagen der Ausbeutung
Gewalt und Nötigung sind die Prämissen einer jeden Ausbeutung in der Menschenwelt. Denn freiwillig lässt sich niemand missbrauchen. Im Folgenden werden die Techniken der Ausbeutung kurz dargestellt. Sie sind meistens abhängig vom Zeitalter und der Kultur.
Gewalt
Damit ein Mensch einen anderen ausbeuten kann, müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Die erste und wichtigste ist der Gewaltfaktor. Die ursprünglichste und einfachste Form der Ausbeutung ist demnach die klassische Sklaverei, die auf das angebliche Recht des Stärkeren gründet.
Menschen, die schwächer oder in der Minderzahl waren oder sind, wurden oder werden kurzerhand in Gefangenschaft genommen und mit der Androhung sie zu töten, zum Arbeiten gezwungen. Das war und ist ganz simpel, da diese Form der Ausbeutung dem Ausbeuter keinerlei Raffinesse in seiner Vorgehensweise abverlangt.
Nötigung
Eine andere Form der Ausbeutung ist die, mit der der Ausgebeutete vom Ausbeuter in ein Abhängigkeitsverhältnis gebracht wird. Der Ausgebeutete wird jetzt nicht mehr mit Gewalt und Todesandrohung zum Arbeiten gezwungen. Er hat kein Geld, nichts zu essen, und da er nicht verhungern oder auf der Straße leben will, sieht er sich gezwungen unten den Bedingungen, die ihm sein Arbeitgeber diktiert, Arbeiten zu verrichten.
Der Arbeitgeber weiß, der Arbeiter hat keine andere Möglichkeit, Geld zu verdienen, und zahlt ihm deswegen nur so viel, wie dieser unbedingt zum Leben und damit zur Aufrechterhaltung seiner Arbeitskraft braucht.
Die Arbeiter werden meistens also nicht deswegen schlecht bezahlt, weil sie nicht besser bezahlt werden könnten (was die Arbeitgeber den Arbeitnehmern mit viel Rechentricks gerne suggerieren), sondern weil die Arbeitgeber es nicht nötig haben:
Warum den Arbeitern einen fairen Lohn zahlen, wenn diese auch für einen unfairen arbeiten (weil sie keine andere Wahl haben)?
Als Beispiel: Würde Dieter Schwarz, der Besitzer des Lidl-Discounter-Konzerns, seinen Angestellten und Arbeitern doppelt so viel Gehalt und Lohn zahlen, wäre er immer noch ein Multi-Milliardär. Er hätte zwar ein paar Milliarden weniger Vermögen, aber immer noch mehr Geld, als er jemals ausgeben kann.
(Selbstverständlich gibt es Ausnahmen von dieser Regel. Das ist in kleineren Betrieben oft der Fall. Dort sind die Lohnkosten oft knapp kalkuliert. Bei großen Konzernen, in den Milliarden Gewinne gemacht werden, ist das jedoch nicht so.)
Durch den niedrigen Lohn nimmt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer außerdem die Möglichkeit, sich aus der Abhängigkeit zu befreien, denn dafür bräuchte er Zeit und mehr Geld.
Manipulation und Konditionierung
Eine weitere Form der Ausbeutung basiert auf subtile Manipulation und Täuschung. Sie ist die modernste aller Ausbeutungsformen, was jedoch nicht bedeutet, es hätte sie in früheren Zeiten nicht auch schon gegeben: Dem Ausgebeuteten wird suggeriert, Herr über sein eigenes Leben zu sein. Er glaubt, seine Bedürfnisse, Meinungen und sein Lebensstil werden von ihm selbst bestimmt.
Das ist die Form der Ausbeutung, wie sie heutzutage in den meisten Ländern vorherrscht, besonders den westlichen demokratischen Industriestaaten.
Sprüche wie »Schuster, bleib bei deinen Leisten«, »Handwerk hat goldenen Boden« oder »Ehrlichkeit währt am längsten« sind Ausdruck dieser Lebenseinstellung. Indem die Ausgebeuteten diese Sprüche verinnerlichen, ihren Sinn zur Tradition machen und so an ihre Kinder weitergeben, sind sie jetzt zum Teil selbst für ihre Situation verantwortlich. Ausbeutung wird von den Ausgebeuteten nicht mehr als Ausbeutung empfunden.
Wir werden von Geburt an konditioniert, zu glauben, davon überzeugt zu sein, dass das Leben aus bestimmten Sinninhalten besteht. Diese sind in erster Linie: Arbeit und Konsum. Arbeit (besser gesagt: Fremdarbeit) verstehen wir oft als notwendiges Übel. Wir finden uns damit ab, arrangieren uns mit dem Umstand, zur Fremdarbeit gezwungen zu sein, und sind deswegen fähig, aus dieser unausgesprochenen Hassbeziehung eine Tugend zu machen.
Konsum und Unterhaltung
Unseren Konsum nehmen wir oft gar nicht richtig wahr, denn es gibt überflüssigen und notwendigen und es ist nicht immer leicht, zwischen beiden Arten zu unterscheiden.
Der Konsum, der hilft, unser Leben zu erhalten, ist notwendig (zum Beispiel Nahrung und Kleidung). Der Konsum, mit dem wir unser Leben »bereichern« (zum Beispiel Unterhaltung und Freizeitgestaltung), ist nicht zwingend notwendig, hilf jedoch, ein einfaches und anstrengendes Arbeiterleben über Jahrzehnte hinweg auszuhalten.
Wir unterscheiden aber in vielen Fällen nicht zwischen diesen beiden Arten, da sie sich überschneiden können. Außerdem wird unsere Aufmerksamkeit und Energie fast ganz von unseren privaten Problemen aufgefressen, um erkennen zu können, dass unser Leben größtenteils daraus besteht, eigentlich überflüssige Produkte zu konsumieren oder infantile Erwartungen und Wünsche zu erfüllen.
Normalität und Selbstläufer
Der Trick bei der Ausbeutungsart »Manipulation und Konditionierung« besteht darin, uns glauben zu lassen, dass all das normal ist, Arbeit und Konsum natürlich und notwendig sind, weil nur so die Welt am Laufen gehalten werden kann.
Man hat uns gelehrt, diese Abhängigkeiten von Arbeit und Konsum als den Sinn und Zweck unseres Lebens zu verstehen, sodass wir sie verteidigen, sollte sie angegriffen werden.
Das bedeutet, diese Art der Ausbeutung ist ein Selbstläufer. Sie muss nicht (wie beispielsweise die Sklaverei) mit Gewalt aufrechterhalten werden. Es braucht auch keine großen Überredungskünste.
Als Ausgebeutete beanspruchen wir sogar ein Recht auf Arbeit, sarkastisch ausgedrückt, ein Recht darauf, ausgebeutet zu werden. Der parallel verlaufende ständige Konsum irgendwelcher Verbrauchsgüter unterstützt dieses Verhalten, denn vor lauter Arbeiten und Konsumieren merken wir nicht, dass unser Leben auch anders sein könnte.
Wir werden in die Arbeits- und Konsumwelt hineingeboren und empfinden sie als eine Art der natürlichen Ordnung, denn wir kennen nichts anderes.
Missbrauch der Möglichkeiten
Doch wir beuten nicht nur Menschen und Tiere aus. Eigentlich beuten wir alles aus, das sich ausbeuten lässt, wenn es sich nicht wehren kann.
Wir missbrauchen unsere Möglichkeiten und interessieren uns nicht für die Konsequenzen, selbst wenn wir diese selbst tragen müssen, denn die liegen oft in der Zukunft, und die interessiert uns nicht wirklich.
Um Tiere auszubeuten, bedarf es ein gewisses Maß an Gewalt und Raffinesse. Bei Menschen ist dieser Aufwand größer, denn wir lassen uns nicht so leicht manipulieren und benutzen. Geht es jedoch um Rohstoffe, müssen wir keine Widerstände überwinden, denn die Natur kann sich gegen unsere Übergriffe nicht wehren.
Wir holzen ganze Urwälder ab und kümmern uns einen Dreck um die dort heimischen Tierpopulationen, denen anschließend der Lebensraum fehlt. Hauptsache, wir haben etwas, was wir im Überfluss verbrauchen und konsumieren können.
Gleichgültigkeit und Egoismus
Wir brauchen einen Job, um Geld zu verdienen. Wie das geschieht, ist uns meistens egal. Wir fischen die Meere nach Belieben leer und zerstören ganze Landschaften – des Geldes wegen.
Entweder fehlt uns die Weitsicht für die Tragweite unseres Handelns oder es ist uns egal. Wir rechtfertigen unser Verhalten, indem wir sagen: „Ich habe sonst keine andere Möglichkeit, Geld zu verdienen, das ich zum Leben brauche. Außerdem, wenn ich es nicht mache, macht es sowieso jemand anderes. Also kann ich es genauso gut selbst tun!“
Doch auch das ist nur eine Ausrede. In Wirklichkeit interessieren uns die Konsequenzen unseres Handelns einfach nicht.
Selbstausbeutung
Ausbeutung findet nicht nur auf externer Ebene statt. Wie beuten nicht nur andere Menschen, Tiere und die Natur aus, sondern auch uns selbst.
Um in unserer erfolgsorientierten Gesellschaft leistungsfähig sein und bleiben zu können, müssen wir oft unsere Grenzen überschreiten. Wir muten uns Dinge zu, die auf Dauer ungesund sind, unterwerfen uns dem extremen Leistungsdruck, weil wir nicht abseitsstehen wollen. Wir betreiben Raubbau an uns selbst und dem Planeten Erde. Und das, was wir uns selbst antun, tun wir anderen natürlich erst recht an.
Unsere Ansprüche an das Leben sind mit den Möglichkeiten gewachsen. Es reicht uns heute nicht mehr, etwas zu Essen zu haben, eine warme Wohnung, saubere Kleidung und komfortable Einrichtungsgegenstände zu besitzen.
Es reicht uns auch nicht, über sanitäre Anlagen zu verfügen, die im Mittelalter selbst Könige nicht hatten und die sogar heute noch in vielen Ländern als Luxus gelten. Wir wollen ständig mehr, auch wenn wir schon mehr als genug haben – doch das ist einer Krankheit ähnlich.
Zu viel ist nicht genug
Wir streben nicht den Überfluss an, weil wir ihn brauchen – denn so etwas gibt es nicht – sondern wir befürchten, benachteiligt zu werden. Deswegen legen wir uns Vorräte an, die wir eigentlich nicht benötigen.
Sind wir dann an den Überfluss gewöhnt, empfinden wir ihn als Standard und wollen mehr, denn Standard genügt uns nicht. Letztendlich werden wir raffgierig, was einer Zwangshandlung ähnelt.
Andere, die nicht in diesem Überfluss und der Verschwendung leben, verspüren jetzt vielleicht Neid, und beginnen selbst mehr und mehr Dinge anzuhäufen, die sie gar nicht brauchen. Zeitgleich verhungern in anderen Teilen der Welt Menschen.
Die Interessen anderer, besonders fremder Menschen, sind uns egal. Alles, was uns interessiert, sind wir selbst. Nehmen wir uns nicht das, was wir haben wollen, nimmt es sich ein anderer und wir stehen mit leeren Händen da und bereuen anschließend unsere Zurückhaltung.
Mit dieser Einstellung legitimieren wir moralisch unser ausbeuterisches, verantwortungsloses Verhalten.