Die Lust am Zerstören
Aggressive, also angreifende Gewalt, ist vollkommen anders zu werten als die defensive, abwehrende. Die Handlungen bei der Ausübung beider Gewaltformen können zwar ähnlich oder sogar gleich sein (mittels Muskelkraft wird ein Widerstand überwunden).
Um sagen zu können, ob ein Gewaltakt einen aggressiven oder defensiven Charakter besitzt, muss daher die Situation betrachtet werden.
Früher war es beispielsweise üblich, Wehrdienstverweigerern (die sich als Pazifisten verstanden) folgende Frage zu stellen: „Wird ihre Freundin auf der Straße angegriffen, würden Sie sie dann mit Gewalt beschützen?“ Da der Wehrdienstverweigerer die Frage selbstverständlich mit Ja beantwortete, war er in den Augen des Wehrdienstverweigerungskomitees kein Pazifist.
Denn unter Pazifismus verstand man damals (tatsächlich oder rein taktisch) absolute Gewaltlosigkeit, was natürlich Quatsch ist. Diese unfaire Rhetorik wäre heute nicht mehr erlaubt.
Aggressive Gewalt ist grundsätzlich ein destruktiver/zerstörender/nihilistischer Akt. Denn ein Hauptgrund, aus dem wir sie praktizieren, ist der (meist unbewusste) Impuls, Frust, Ärger, Ängste oder Wut abreagieren oder kompensieren zu können.
Diese Gewalt zur Kompensation von persönlichen Problemen gibt es auch gegen Gegenstände. Möbel werden zertrümmert oder Autos demoliert. Man kann auch auf ein Kopfkissen einschlagen und sich vorstellen, es wäre eine bestimmte Person, die man hasst und am liebsten „umbringen“ würde. Gewalt gegen Gegenstände erzeugt bloß Sachschaden und ist die intelligentere Variante des Aggressions- und Frustabbaus.
Emotionale und räuberische Gewalt
Es gibt zwei Arten der aggressiven Gewalt, die unterschiedlich betrachtet werden müssen: die emotionale und die räuberische. Die emotionale geschieht aus einem Impuls heraus und hat keine rationale Funktion. Sie ist meistens schnell vorbei. Wir verspüren Hass oder Wut auf einen anderen Menschen (zu Recht oder Unrecht) und können uns nicht zurückhalten. Anschließend bereuen wir unseren gewalttätigen Ausbruch vielleicht.
Die räuberisch-aggressive Gewalt hat einen rein pragmatischen Charakter. Wir überfallen beispielsweise einen Menschen, weil wir ihn ausrauben wollen. Wenn dieser seinen Besitz nicht freiwillig hergibt, wenden wir Gewalt an, um ihm etwas stehlen zu können. Diese Form der aggressiven Gewalt ist optional und kommt nur zum Einsatz, wenn die Umstände sie erfordern.
Die emotional-aggressive Gewalt fungiert hingegen als Ventil zum Abbau von Gefühlen, die wir nicht anders kanalisieren können. Sie ist Selbstzweck. Dabei verstehen wir oft die wahren Beweggründe für unsere aggressiven Impulse nicht. Unser Hass kommt uns vielleicht gerechtfertigt vor, doch in Wirklichkeit kompensieren wir nur die Unzufriedenheit mit unserem Leben.
Ideologische motivierte Gewalt
Emotionale und räuberische aggressive Gewalt ist das Hauptmerkmal von Faschismus oder jeder anderen Form der Tyrannei und Diktatur.
Nimmt man der kommunistischen/faschistischen Diktatur das Gewaltelement weg, bleibt etwas anderes zurück: vielleicht eine naive, kurzsichtige Ideologie, über die wir lachen oder den Kopf schütteln können, von der sich aber niemand bedroht fühlen muss.
Jede Form der nicht-defensiven, aggressiven Gewalt ist tyrannisch oder tendenziell faschistisch/diktatorisch – auch die links-politisch und religiös motivierte Gewalt.
Entfernt man bei den neonazistischen, antifaschistischen und islamistischen Gewalttätern ihre Erkennungsmerkmale und Insignien (sozusagen ihre Etiketten), sind sie voneinander nicht mehr oder kaum noch zu unterscheiden. Übrig bleibt dann ihr Kernelement: die Liebe zur Gewalt, die einen letztendlich zufälligen Ausdruck gefunden hat.
Die jeweils politischen oder religiösen Motivationen fungieren nur (bewusst oder unbewusst) als moralische Legitimation für die ausgeübte Gewalt. Faschistische/diktatorische Gewalttäter sind daher Kriminelle, die keine gewöhnlichen Kriminellen sein wollen. Sie verstecken ihr kriminelles Gemüt hinter einer Ideologie.
Deswegen schließen sie sich einer politischen oder religiösen Organisation an, in der das, was eigentlich bösartig und in einer zivilisierten Welt verboten ist, als Mittel zu einem angeblich guten Zweck erlaubt ist.
Die Voraussetzung zur aggressiven Gewalt
Um aggressiv gegen andere Menschen gewalttätig sein zu können, braucht man ein destruktiv-nihilistisches Gemüt. Nur selten kommt ein Mensch damit zur Welt – wenn überhaupt. Wir müssen es uns erst durch schlechte Lebenserfahrungen „erwerben“.
Um dauerhaft mental fähig sein zu können, anderen Menschen (die einem nichts getan haben und auch keine Bedrohung darstellen) schlimme Dinge anzutun, muss man sich bei der Ausübung der aggressiven Gewalt „gut“ fühlen.
Wer also behauptet, in einer offenen und freien Gesellschaft zur aggressiven Gewalt genötigt zu sein, versucht über seinen wahren Beweggrund hinwegzutäuschen: dem Gefühl der Macht, an dem er sich berauscht. Es macht ihm schlichtweg Spaß, andere Menschen demütigen und zerstören zu können. Denn eine wirkliche Nötigung zur aggressiven Gewalt gibt es nur äußerst selten:
Nur wenn man definitiv weiß, demnächst vernichtend oder schlimm angegriffen zu werden, mach es Sinn, diesen Angriff mit einem vorangehenden Angriff zu begegnen. Nur in diesem Zusammenhang greift der Spruch: Angriff ist die beste Verteidigung. Doch das ist weder bei der rechten, linken noch religiösen Gewalt der Fall.
Der einzige Unterschied zwischen der linken und rechten Gewalt sind also die Ideologien, die sich die Parteien oder Organisationen auf ihre Fahnen schreiben. Kein linker, rechter oder religiöser Gewalttäter sagt: „Eigentlich mag ich keine Gewalt, doch der Staat, die Rechtsradikalen, die Kommunisten, die Juden, die Ausländer, das Böse usw. zwingen mich dazu. Ich hasse es eigentlich, anderen Menschen Schlimmes anzutun und mache es nur widerwillig.“
In Wirklichkeit gefällt es uns als Links‑, Rechts- oder Religionsextremisten, wenn es anderen Menschen, die wir aus unterschiedlichen Gründen nicht mögen, aufgrund unserer Taten schlecht geht.